Changeability und Netzwerke

Im Internet ist vor geraumer Zeit eine Zeitschrift gestartet: X.netzwerker. Das Format ist richtig spannend und ich war deshalb gegenüber einer Interviewanfrage aufgeschlossen. Die Fragen fand ich dann auch sehr interessant und zu den Themen der letzten Infobriefe passend, so dass ich das Interview hier gekürzt wiedergebe:

X.netzwerker: Guten Tag Herr Dr. Fourier. Anpassungsfähigkeit von – sagen wir allgemein – Organisationen ist eines der zentralen Themen Ihrer Arbeit. Können Sie kurz umreißen, warum Sie dies für einen entscheidenden Zukunftsfaktor halten?

Dr. Stefan Fourier: Die Unberechenbarkeit und Veränderungsrasanz in der Welt und in der Weltwirtschaft wachsen objektiv und unvermeidbar. Will sich ein Unternehmen unter diesen Bedingungen behaupten, muss es nicht nur Höchstleistungen bringen, innovativ und effizient sein, sondern es muss eine weitere Schlüsselkompetenz besitzen: Veränderungsfähigkeit oder Changeability. Damit meine ich die Eigenschaften, die Unternehmen auch dann überleben lassen, wenn völlig unvorhersehbare Veränderungen eintreten. Wir hatten in den letzten Jahren einige solche drastischen Einschnitte, wie die Finanzkrise 2009, aber für einige Branchen hat auch die Energiewende in Deutschland eine solche Dimension. Gemeint sind also Ereignisse, die plötzlich eintreten und große Wirkung haben. Der demografische Wandel gehört nicht dazu, denn er ist lange bekannt und die Unternehmen, die ganze Gesellschaft stellen sich mehr oder weniger langfristig darauf ein. Bei Changeability geht es darum, dass das Unternehmen einerseits robust genug ist, plötzliche Produktionsschwankungen zu verkraften, und andererseits so flexibel ist, sich sehr schnell umzuorientieren, anzupassen.

X.netzwerker: Unternehmer fragen sich oft, wie ihre strategische Ausrichtung auszusehen hat. Und sind Unternehmen überhaupt in der Lage diesen Spagat zwischen struktureller Organisation und fließender Anpassung an Marktveränderungen zu vollführen?

Dr. Stefan Fourier: Strategische Ausrichtung ist etwas anderes als Changeability. Bei Strategie geht es darum, das eigene Geschäft langfristig erfolgreich auszurichten. Changeability ist dann erforderlich, wenn genau diese Langfristigkeit nicht mehr gewährleistet ist, weil zum Beispiel die Autoindustrie dem Zulieferer plötzlich nichts mehr abnimmt. Das wäre dann der berühmte entscheidende erste Schuss, von dem Clausewitz sagt, dass durch ihn jede Strategie über den Haufen geworfen wird. Und in diesem Moment kommen Unternehmen, die ihre Organisation sehr effizient, aber dadurch auch eben oft sehr starr auf eine bestimmte Strategie ausgerichtet haben, in große Schwierigkeiten. Es ist also tatsächlich ein Spagat für den Unternehmer: Einerseits braucht er eine definierte Organisation mit festen Strukturen, um in prosperierenden Zeiten Geld zu verdienen, andererseits muss er diese sehr schnell über Bord werfen und durch etwas Neues ersetzen können, wenn die Zeiten sich plötzlich ändern. Er kann diesen Spagat schaffen, wenn er sich bereits in den sogenannten „ruhigen Zeiten“ mit verschiedenen denkbaren und vielleicht auch undenkbaren Szenarien plötzlichen Wandels auseinandersetzt. Methoden dazu gibt es, er muss sie nur nutzen.

X.netzwerker: Folgende These: Um den rasanten Marktveränderungen zu begegnen und Märkte aktiv zu gestalten, müssen Unternehmen die Formen der Organisation grundlegend überdenken und dabei die Struktur der Flexibilität opfern.

Dr. Stefan Fourier: Ich glaube nicht, dass Struktur und Flexibilität sich gegenseitig ausschließen, so dass man eins opfern müsste. Strukturen sind wichtig, um die Wertschöpfungsprozesse überhaupt vernünftig abarbeiten zu können. Der Königsweg besteht darin, die Behinderungen, die Strukturen mitunter hervorrufen, zum Beispiel in Entscheidungsprozessen, zu beseitigen. Wenn der Unternehmer immer im Blick behält, dass Strukturen dazu da sind, die Prozesse zu unterstützen, dass also die Prozesse und ihre optimale Abwicklung primär sind, dann wird er auch die notwendige Flexibilität herbeiführen und Erstarrung vermeiden.

X.netzwerker: Wie weit können solche Überlegungen in den Unternehmen gehen?

Dr. Stefan Fourier: Letztlich geht es darum, diese Fragen kontinuierlich immer wieder aufzuwerfen. Man kann Veränderungsfähigkeit nicht einmal einstellen und hat sie dann für alle Zeit. Nein, darum muss man ständig ringen. Beispielsweise kann man nach einem standardisierten Verfahren in Abständen die Changeability seines Unternehmens testen und erhält auf diese Weise Daten und Fakten über diese Kompetenz und findet frühzeitig die neuralgischen Punkte heraus, an denen man etwas ändern muss. Es ist wie mit dem finanziellen Unternehmenserfolg, der kommt auch nicht durch eine einzige Aktion, sondern nur, indem man immer dran bleibt und den Fokus darauf setzt. Und genauso ist es mit der Veränderungsfähigkeit des Unternehmens: Man muss immer dranbleiben.

X.netzwerker: Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Position von Netzwerken?

Dr. Stefan Fourier: Netzwerken geht der Ruf voraus, flexibel zu sein. Das hängt nach meiner Beobachtung allerdings stark von der Organisationsform ab, die ein Netzwerk hat. Ich kenne Vereine, die sind alles andere als flexibel. Da brauchen Sie manchmal Jahre, ehe sich eine Veränderung durchsetzt. Moderne Netzwerke, wie wir sie aus dem Bereich Social Media kennen, oder auch berufliche Netzwerke von Anwälten oder Consultants, sind operativ sicher sehr flexibel, müssen aber intern ihre Zusammenarbeit irgendwie regeln und schaffen dabei eben sofort auch Strukturen. Vor allem bei langfristigen Aufgabenstellungen, bei der Organisation von Entwicklungsaufgaben oder beim Marketing müssen sie das tun und stehen dann vor der besonderen Herausforderung, ihre Flexibilität durch diese Strukturierung nicht wieder zu verlieren.

X.netzwerker: Abschließend die Frage: Sind Netzwerke die zukunftsfähigeren Unternehmen?

Dr. Stefan Fourier: Wenn man nur den Aspekt der Flexibilität betrachtet, dann ist das sicher so. Aber von Flexibilität allein kann kein Unternehmen leben. Es müssen Verbindlichkeiten für die Abwicklung von Aufträgen und vor allem für die vielen langfristigen und nicht direkt wertschöpfenden Funktionen her, die erfüllt werden müssen, wenn man erfolgreich am Markt bestehen will. Also zum Beispiel: Wer macht Marketing und Akquisition, wer kümmert sich um Qualitätssicherung und um Entwicklung und wie wird er dafür entlohnt? Welche Regeln für die Zusammenarbeit werden von wem gesetzt und wie wird ihre Einhaltung gesichert? Auch das macht Aufwand und muss innerhalb des Netzwerks geleistet und natürlich bezahlt werden. Und genau an diesen Stellen tun sich Netzwerke oft schwer. Es gelingt nur selten, die hohe Flexibilität eines Netzwerks mit der erforderlichen Verbindlichkeit zu vereinen, auch zum Beispiel die Verbindlichkeit von Führung.

Das geht nicht allein durch Verträge oder Anweisungen, sondern am Wichtigsten sind Sinnentwicklung, Vertrauensaufbau und die Schaffung einer Verantwortungskultur. Das ist Führungsarbeit auf höchstem Niveau, die in Netzwerken nicht auf Weisungen fußt, sondern auf Überzeugung. Wer das hinbekommt, hat mit Netzwerken gute Chancen.

X.netzwerker: Herr Dr. Fourier, wir danken Ihnen für Ihre Ausführung.