Dänen lügen nicht

Vor einigen Wochen hatte ich Gelegenheit, mit einer Delegation des niedersächsischen Wirtschaftsministers die wirtschaftlich hochinteressante Gegend um Kopenhagen und Malmö zu bereisen. Etwa zeitgleich kam der World Happiness Report der UN heraus, der die Dänen als die glücklichsten Menschen der Welt ausweist. Deutschland findet sich auf dieser Rangliste, die Daten vom Arbeitsmarkt, aus den Sozialsystemen und diverse Befragungsergebnisse berücksichtigt, auf Platz 26. Die Dänen schätzen ihre gut organisierte Gesellschaft, die demokratischen Strukturen und das hohe Maß an Toleranz in ihrem Land. Sie sind gesellig, haben ein ausgeprägtes Vereinsleben und zahlen extrem viel Steuern.

Upps, an der Stelle stutzten die meisten Delegationsteilnehmer. Wie geht das denn zusammen? Steuern sind ja das letzte, was der Deutsche an sich, und besonders natürlich Leute aus der Wirtschaft, für glücksfördernd halten. Also gab es zu diesem Punkt eine Menge Diskussion. Unsere dänischen Gesprächspartner bewiesen bei den zweifelnden Nachfragen zum Glücksthema eine frappierende, lächelnde, geduldige Offenheit. Und so wurde es richtig interessant.

Für mich war die Reise eine wunderbare Studiengelegenheit, denn ich hatte keine kommerziellen Erwartungen. Statt bei jedem Gespräch an Geschäfte denken zu müssen, konnte ich meine Eindrücke von den Menschen und über die Atmosphäre bei den Firmenbesuchen, bei der Kooperationsbörse und den vielen Kontakten aufnehmen. Und es gab tatsächlich eine Menge zu lernen. Wie trotz beruflichen Engagements und Leistungsdrucks Zufriedenheit und Freundlichkeit bewahrt werden können. Wie trotz (oder wegen?) beschränkter finanzieller Mittel beim Einzelnen Glück entstehen kann. Das alles ist für unsere Arbeit bei Humanagement relevant, denn in unseren Projekten geht es immer auch darum, Menschen unter ungewöhnlichen und meist nicht einfachen Anforderungen motiviert zu halten, gute Stimmung und ein produktives Miteinander zu erzeugen.

Die Anforderungssituation ist in dänischen Unternehmen ähnlich wie in deutschen. Es werden Höchstleistungen verlangt. Die dänische Wirtschaft steht vor denselben Herausforderungen im wirtschaftlichen Wettbewerb, bei Globalisierung, Demografie, Bildung, Arbeitsmarkt und so weiter. Die Menschen müssen sich hier wie dort anstrengen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Aber es gibt ein paar bemerkenswerte Unterschiede. Die deutlich höheren Steuern in Dänemark fließen in die Sozialsysteme, für die niemand extra aufkommen muss, auch nicht die Unternehmen durch zusätzliche Sozialabgaben. Dadurch und durch die deutlich niedrigeren Unternehmenssteuern werden übrigens die im Vergleich zu Deutschland viel höheren Einkommen, vor allem in den unteren Bereichen, für die Unternehmen wieder ausgeglichen. Dänemark wirkt unternehmerfreundlich.

Bei den Einkommen gibt es eine Auffälligkeit, die einen Teil der Volkszufriedenheit erklären könnte: Die Brutto- und erst recht die Nettoeinkommen (wegen der hohen Steuerprogression) der Spitzenverdiener liegen deutlich unter Deutschland. Da haben Neid und Ungerechtigkeitsempfinden in der Gesellschaft wenig Chancen. Trotzdem wandern die Leistungsträger nicht ins besser zahlende Ausland ab – ein in Deutschland häufig vorgebrachtes Argument gegen Einkommensdeckelungen.

Ich persönlich glaube aber nicht, dass diese reinen Rechenspiele ausschlaggebend für die Beantwortung der Glücksfrage sind. Ich habe ein paar Beobachtungen gemacht, die eher atmosphärischer Natur sind, sozusagen die Gesellschaftskultur betreffen, und die für mich plausibler scheinen. Augenfällig war beispielsweise der Unterschied bei der Bekleidung der deutschen Delegation gegenüber den meisten Dänen: wir Deutschen korrekt und formell mit Krawatte, die Dänen etwas legerer. Die Präsentationen der Dänen waren kurz (bis auf eine Ausnahme durch einen Wissenschaftler, der war aber Ire) und anschaulich, kamen vor allem locker und eher erzählerisch rüber. Insgesamt wirkte die Kommunikation der Dänen lockerer, sehr entspannt und nicht so detailgenau. Es machte alles den Eindruck, dass die Arbeitsatmosphäre gegenüber deutschen Unternehmen deutlich entspannter ist. Es gibt weniger Hektik, viel Gespräch, Lachen und Freundlichkeit.

Und hier noch ein paar Besonderheiten, die mir die dänischen Gesprächspartner, mit einem ruhigen Selbstverständnis und absolut glaubwürdig, vermittelt haben:

  • In Dänemark machen alle pünktlich Feierabend und nichts geht über ein gutes Arbeitsklima.
  • Frauenquoten oder ähnliches sind nicht nötig, weil die Frauen überwiegend arbeiten gehen, während die Kinder in entsprechenden Einrichtungen gut aufgehoben sind.
  • Dänen legen weniger Wert auf Verträge und Konzepte, sondern bevorzugen das Verhandeln (und Nachverhandeln) von Differenzen. Sie bezeichnen sich als Konsenskultur, was man auch mit der Tradition der Minderheitsregierung (in Deutschland schwer denkbar) belegt.
  • Die Menschen wachsen im Geiste des „Jante-Gesetzes“ auf, nachdem kein Mensch auch nur im Entferntesten daran glauben soll, dass er aus irgendeinem Grund besser sei als der andere. Stattdessen sei es erstrebenswert, die eigenen Interessen zugunsten der Gemeinschaft zurückzuhalten.
  • Für deutsche Ohren klingt das ziemlich idealistisch, aber meine dänischen Gesprächspartner haben das sehr ernsthaft gesagt.
  • In Dänemark verbirgt man eher das was man hat, anstatt es zur Schau zu stellen.

Ich möchte an dieser Stelle meine Aufzählung beenden, auch um nicht den Eindruck zu erwecken, nun zu den Dänen überzulaufen. Aber ich bin überzeugt, dass etwas mehr Bescheidenheit und Zurückhaltung, Zuwendung und Freundlichkeit, Entspanntheit und Normalität auch uns gut tun würden. Bei Humanagement machen wir das so. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, dass unsere Projekte erfolgreich sind.