Ecuador – Vielfalt und Chance

Mitunter sind Urlaubsreisen die reinsten Augenöffner. Da ist man voll auf Erholung gepolt und plötzlich entdeckt man so viel Unerwartetes, wird regelrecht mit der Nase drauf gestoßen, dass man vor lauter Neugier ganz aktiv wird und das Thema Erholung etwas in den Hintergrund gerät. So erging es mir über Weihnachten und Neujahr in Ecuador, obwohl ein Freund mich schon vorgewarnt hatte. Das Land ist nicht nur wunderschön, sondern auch überaus spannend, hatte er gemeint. Ich aber hatte nur mit halbem Ohr hingehört.

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Und dann saß ich eines Morgens mitten im Dschungel. Langsam wurde der Himmel heller. Das Quaken der Frösche wurde von Vogelstimmen abgelöst und das Kollern der Affen rollte über die Baumwipfel. Und die Geräusche wurden immer mehr. Und immer unterschiedlicher. Aus dieser Vielfalt entstand ein neuer Tag. In dem gab es so viel zu entdecken, was ich nie zuvor gesehen hatte. Vögel und Kleingetier, Pflanzen in unendlicher Blütenpracht, riesige Bäume und das Gewirr von Schlingpflanzen, unvergessliche Blicke über den Wald, auf Wasserläufe und Lagunen. So ging das auch an den folgenden Tagen weiter, in den Anden, an den Vulkanen und in den großen Städten. Überall das gleiche Muster. Aus tiefer Ruhe entfaltet sich eine riesige Menge unterschiedlicher Details und führt zu pulsierendem, überschäumendem Leben.

Natürlich sprang meine Denkmaschine an, um diese Eindrücke zu verarbeiten und Parallelen zu meiner gewohnten Welt zu ziehen. Richtig, aus schlummernden Potenzialen entsteht Vielfalt, daraus entwickeln sich Möglichkeiten und Chancen und irgendwann ist dann etwas Neues da. Manches davon setzt sich durch, manches stirbt wieder ab und macht Platz. Und so geht es immer weiter, der Lauf der Welt. Es lag sicher nicht nur an der Urlaubssituation, dass mir dies so gegenwärtig wurde. In Ecuador ist genau das der stärkste Eindruck.

Neben Natur und Landschaft bietet das Land überraschend viel Geschichte und Kultur, die uns Europäern sehr nah sind. In der Innenstadt von Quito, noch stärker aber in Cuenca, einer Stadt in den Anden mit 500.000 Einwohnern, fühlt man sich eher wie in Spanien oder in mediterranen Städten. Manchmal war ich an Palma de Mallorca erinnert. Kapitale Kirchenbauten, wunderschöne Paläste, viele Museen und eine Kunst und Innenarchitektur in oft eigentümlicher Mischung mittelalterlich europäischer, indigener und afrikanischer Stile. Ecuador beherbergt also nicht nur die weltweit meisten endemischen Tier- und Pflanzenarten auf engem Raum, sondern hat auch kulturell eine besondere Eigenständigkeit entwickelt. Aus der Vielfalt unterschiedlicher Einflüsse und Traditionen hat das Land in allem eine besondere Note hervorgebracht.

Nun möchte ich nicht den Eindruck erwecken, dass in Ecuador alles nur schön ist. Es existieren oft riesige Gegensätze. In den Großstädten und auf dem Lande gibt es viele unglaublich arme Menschen, die zwar überwiegend satt zu essen haben dürften, ansonsten aber buchstäblich nichts besitzen. Dagegen stehen die unermessliche Pracht der Kirchen, High-Tec und die Moderne sind überall präsent. So trifft man in den ärmlichen Urwaldhäusern der Indios auf moderne Fernsehgeräte.

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Auch unser jugendlicher Pferdeführer am Cotopaxi zückte während einer Pause mitten auf der Pampa sein Handy, um erst einmal Zuhause anzurufen. Und er hatte besseren Empfang als wir in manchen dichtbesiedelten Gegenden Deutschlands.

Wirtschaftlich ist Ecuador stark landwirtschaftlich geprägt. Vorherrschend ist Kleinfelderwirtschaft, teilweise in extremen Hanglagen. Viele dieser Flächen werden von den Indios noch mit der Hacke bearbeitet, sicher ein zukünftiges Geschäftsfeld für Anbieter einfacher Landmaschinen. Trotzdem erstaunlich, dass Ecuador auf einigen Gebieten international mithält und teils sogar auf dem Vormarsch ist. Neben den bekannten Bananenexporten, wo man übrigens auf den Plantagen die Stauden in Plastiksäcke gegen die Einwirkung der notwendigen Pflanzenschutzmittel eingehüllt findet, beherrscht Ecuador etwa zwei Drittel des Weltmarkts bei hochwertigem Kakao. Und jede dritte Rose, die in Deutschland verkauft wird, kommt aus den riesigen Gewächshäusern, die überall in den Anden zwischen 2.000 und 3.000 Höhenmetern zu finden sind. In Küstennähe wachsen Garnelen auf mehr als 180.000 ha Fläche in Aufzuchtbecken heran, das Land ist weltweit der zweitgrößte Exporteur.

Ecuador ist reich an Bodenschätzen. Neben großen Erdölvorkommen, Silber und Gold wurden in jüngster Zeit die weltgrößten Kupfervorkommen entdeckt, deren Abbau gemeinsam mit einer kanadischen Firma in Kürze beginnen soll. Die Erschließung der Bodenschätze erfolgt überwiegend gemeinsam mit ausländischen Investoren, wobei Ecuador spätestens mit der Präsidentschaft von Rafael Correa seine eigenen Mehrheitsinteressen wahrt. So dominieren inzwischen einheimische Erdölunternehmen die Förderung im ecuadorianischen Urwald.

Ein wachsender Wirtschaftszweig ist der Tourismus. Es sind sehr viele US-Urlauber unterwegs. Außerdem leben eine Menge US-Bürger als Senioren in Ecuador. Die Zahl deutscher Touristen stagniert bei etwa 24.000 pro Jahr, was eigentlich nur mit der bei uns noch verbreiteten Unkenntnis der vielen Möglichkeiten in diesem schönen Land zu tun hat. Die Infrastruktur für Tourismus ist in Ecuador jedenfalls gut und in voller Breite von „Luxus“ bis „Rucksack“ entwickelt. Beispielsweise ist Reiseführer ein Beruf mit Universitätsabschluss!

Klassische Industriezweige sind in Ecuador die Textil- und Bekleidungsindustrie, Lederherstellung und –verarbeitung (übrigens in hoher Qualität und äußerst preiswert) und natürlich die weltbekannten Panamahüte. Diese haben ihren Ursprung übrigens in Ecuador. Ihren diesbezüglich irreführenden Namen erhielten sie durch ein Pressefoto, welches Roosevelt 1906 mit diesem Hut auf der Baustelle des Panamakanals zeigte. Eigentlich war der Hut unter dem Namen Toquilla bereits in der Vorinkazeit beim Stamm der Cholas in Gebrauch.

Zu den traditionellen Industrien, die überwiegend in Manufakturen betrieben werden, kamen in der Neuzeit Pharmaunternehmen (z.B. Grünenthal), die Autoindustrie (Ecuador baut eigene Busse und Kleinwagen) nebst Zulieferern (Continental betreibt ein Werk in Cuenca). Mir fielen in den Hotels relativ viele chinesische Geschäftsleute auf, was sicherlich weitere interessante Entwicklungen erwarten lässt.

Im Zuge all dieser Modernisierungen gewinnt der Bildungssektor rasant an Bedeutung. Weil der Staat trotz neuerdings großen Bemühungen damit offenbar überfordert ist, gibt es zahlreiche und weiter anwachsende Privatschulen und Privatuniversitäten von teilweise exzellenter Qualität. Große Chancen sollten übrigens für das duale Berufsbildungssystem bestehen, mit dem Deutschland ja auch in anderen Weltregionen Furore macht.

Die größten gesellschaftlichen Probleme erwachsen dem Land aus den riesigen sozialen Unterschieden zwischen Reichen und der Masse wirklich armer Menschen. Das birgt die Gefahr großer Auseinandersetzungen, für die es jedoch nach meinen Beobachtungen in der Breite noch keine Sensibilität gibt. Die Tradition brutaler Unterdrückung der Indios (36 % der Bevölkerung) und großer Teile der Mestizen (45 %) wird erst langsam überwunden. Hier leistet die neue Regierung Rafael Correas Bahnbrechendes, hat aber noch einen langen Weg vor sich.