Fuzzy Communication

Kohärenz im Unternehmensfeld und der Segen der Ungenauigkeit

Zweifellos findet in Unternehmen Kommunikation statt, genauso wie andere Formen von Wechselwirkung. Beispielsweise werden Werkstücke bearbeitet und im Fertigungsprozess weitergereicht, auch das ist Wechselwirkung. Durch diese Wechselwirkungen – Luhmann spricht in seiner Theorie der sozialen Systeme von Operationen – erhält das System Unternehmen seinen Sinn. Und wie dieser stoffliche Austausch zwischen Systemelementen schafft auch der Austausch von Informationen, genannt Kommunikation, überhaupt erst das System.  Zwischen Einzelteilen, die nicht miteinander interagieren, ob nun durch Stoffaustausch oder Informationsaustausch, besteht nun mal keine Beziehung.[1] Also bilden sie auch kein System, sondern existieren irgendwie losgelöst voneinander. Der Sinn von Kommunikation besteht also darin – zumindest wenn man sich der Frage aus systemtheoretischer Sicht nähert – das System Unternehmen als solches überhaupt erst zu manifestieren. Ohne Kommunikation kein System.

Stellen Sie sich vor, von mir würde keinerlei Information ausgehen, weder ein Ton, noch Lichtstrahlung, auch kein reflektiertes Licht, nichts, noch nicht einmal etwas Geschriebenes. Sie hätten keine Ahnung von meiner Existenz. Wenn nun alle meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen bei Humanagement genauso wie ich nichts von sich gäben, wüssten wir nichts voneinander, würden irgendwie nebeneinander existieren und wären keine Firma. Und niemand wüsste um die Existenz von Humanagement. Mal ganz unabhängig davon, dass das für die Welt sicher ein Verlust wäre, zeigt dieses Beispiel, dass ohne Wechselwirkung zwischen den einzelnen Einheiten ein System einfach nicht existiert.

Nun haben Informationen noch eine weitere interessante Eigenschaft. Wenn man sie teilt, verändern sie sich nicht (ich klammere hier zunächst einmal das Stille-Post-Spiel aus, dazu kommen wir später noch), sondern sie vervielfachen sich. Informationen erzeugen sich also selbst durch Kommunikation. Man nennt Kommunikation deshalb einen autopoietischen Prozess.[2] Information entsteht durch Kommunikation von Information. Dieses „sich selbst produzieren“ ist der eigentliche Sinn von Kommunikation.

Beobachten wir einmal zur Veranschaulichung ein Gespräch zwischen zwei Frauen. Ein Satz gebiert den nächsten. Dieser wiederum ist Ausgangspunkt für den nächsten. Und so kann sich die Kommunikation dann ewig fortsetzen, wenn die Frauen nicht irgendwann abgelenkt werden oder vor Hunger umfallen. Anders bei Männern. Da wird eine Information in kurzen Worten rübergebracht und Schluss. Damit ist dann aber auch die Kommunikation beendet, sie existiert nicht weiter. Und auch die Verbindung zwischen den beiden ist unterbrochen, das heißt sie sind – zumindest für eine Weile – kein System mehr.

Nun reduziert sich der Sinn von Kommunikation nicht darauf, nur immer wieder sich selbst zu erzeugen. Sie ist existenziell für soziale Systeme, im wahren Wortsinn. Soziale Systeme entstehen erst durch Kommunikation, allein durch Kommunikation, und sie enden mit dem Ausbleiben von Kommunikation. Die Autopoiese eines sozialen Systems, seine Selbsterzeugung, geschieht durch Kommunikation.

Diese theoretischen Überlegungen, die wir hier nicht weiter treiben wollen, haben einen durchaus praktischen Sinn, wenn man sich mit Kommunikation in Unternehmen beschäftigt. Einerseits geht es natürlich darum, Informationen zu transportieren, exakt, schnell und störungsfrei. Aber Kommunikation hat eben – wie gerade gesagt – noch einen ganz anderen Sinn im Unternehmen, nämlich den der „Systemstiftung“. Und da geht es nicht darum, dass sie irgendein Ziel der Informationsübertragung erreicht, dann wäre sie nämlich beendet, sondern dass sie sich fortsetzt, immer wieder anknüpft, sich verzweigt und verbreitet. Dadurch schafft sie das System Unternehmen, die Beziehungen und den Zusammenhalt zwischen den einzelnen Einheiten, Personen, Themen, Bereichen. Sie muss also ziellos sein, denn sonst endet sie irgendwann, wenn sie ihr Ziel erreicht hat. Die ziellose Kommunikation bildet sozusagen den Kitt im System Unternehmen.

Am wirkungsvollsten für die Systemstiftung ist die Gerüchteküche, die in jedem Unternehmen existiert. Das Management ärgert sich häufig darüber, weil es sie nicht in den Griff bekommt. Aber genau dieses Unstete, nicht Greifbare, ist der Wert der Gerüchteküche für die Systemerhaltung. Ihre Ziellosigkeit und Unberechenbarkeit ist Ausdruck von Autopoiese und Voraussetzung für ihr Funktionieren. Sie prägt wie kaum ein anderer Prozess die sogenannte Unternehmenskultur. Genau dafür ist sie da. Mit der Diskussion von Unternehmensleitlinien oder Ergebnissen von Mitarbeiterbefragungen kann man die Unternehmenskultur nicht wirklich beeinflussen Solche Kampagnen führen erfahrungsgemäß eher zu Verstimmungen. Wie laufen denn solche Diskussionen tatsächlich ab? Der Diskussionsleiter verfolgt das Ziel, eine bestimmte Botschaft rüberzubringen. Das macht er dann, und danach ist das Meeting beendet und die Beteiligten tauschen untereinander höchstens noch abfällige Meinungen darüber, dass sie mal wieder ziemlich sinnlos ihre Zeit in einem Meeting vertan haben. Dann ist Schluss, die Kommunikation ist beendet. Nix mit Autopoiese, mit Verbreitung und Reproduktion.

Wenn man seitens der Unternehmensleitung etwas für die Unternehmenskultur tun will, dann sollte man Gelegenheiten für unkontrollierten Austausch schaffen und die Gerüchteküche fördern. Dann entsteht Kommunikation, die sich ausbreitet, fortsetzt, zum „Kitt des Systems“ wird und die Unternehmenskultur entwickelt. Natürlich lässt sich diese Art der Kommunikation nicht kontrollieren und nicht beherrschen. Aber das ist nicht gefährlich – nur für Diktaturen – sondern gut, weil Kommunikation eben nur dadurch ihren systemgestaltenden Sinn erfüllen kann. Das Management kann sie zwar nicht kontrollieren, aber beeinflussen, indem es an den Gesprächen teilnimmt, quasi zum Teil der Gerüchteküche wird.

Ich weiß ja, dass diese Dinge logikgeprägten Managern und manchem Ingenieur ein Gräuel sind. Aber so ist das nun einmal mit der Kommunikation. Sie ist der am meisten unberechenbare und unsteuerbare Teil im System.

Schauen wir uns nun den Ablauf von Kommunikation an, um den Prozess als solchen besser zu verstehen, als es uns die gängigen Sender/Empfänger-Modelle ermöglichen. Es hält sich ja immer noch weit verbreitet die Ansicht, dass man eine Information nur richtig deutlich senden muss, damit sie verstanden wird. Aber selbst wenn das so funktionieren würde, käme dadurch die Kommunikation zum Erliegen. Wir haben aber gesehen, dass dies nicht der Sinn von Kommunikation ist. Eine Information darf also gar nicht exakt so ankommen, wie sie gesendet wurde. Sie muss etwas offen lassen, was die Fortsetzung des Kommunikationsprozesses provoziert. Und genau das passiert auch.

Genau genommen, ist Kommunikation ein mehrstufiger Selektionsprozess. Zunächst selektiert der Sender (Systemtheoretiker sagen dazu „Alter“) eine Information. Er wählt aus einer Fülle von Möglichkeiten aus, was er mitteilen will. Dann bringt er diese Information in eine Form, wählt also wieder zwischen vielen Möglichkeiten aus. Beide Selektionen laufen ziemlich automatisch, weil wir die ganze Prozedur vieltausendfach eingeübt haben. Und deshalb macht das natürlich jeder auf seine Weise, mit dem Ergebnis, dass jeder Sender erstens eine etwas andere Information auswählen und zweitens die gleiche Sache unterschiedlich von sich geben wird. Damit entstehen Differenzen im Kommunikationsfeld[3], die schon den Samen für Missverständnisse und damit für die spätere Fortsetzung des Kommunikationsprozesses legen. Wunderbar!

Nach diesen Selektionen muss der Empfänger (genannt Ego) auswählen. Er muss zunächst das, was da ankommt als Information erkennen. Das ist ein Selektionsprozess der ganz wesentlich von der Verfasstheit des Empfängers abhängt. In seinem Gehirn läuft nämlich ein Vergleich ab, ob das Ankommende zu irgendeiner Erinnerungsstruktur passt, zumindest ein bisschen, so dass eine Resonanz entsteht[4]. Diese Resonanz ist notwendige Voraussetzung für Verstehen, für das Erkennen einer Information als Information. Das Resonanzvermögen des Empfängers hängt von seinem Bildungsstand, von seinen Vorerfahrungen mit dem Sender, von seiner aktuellen Stimmung, aber auch in besonderem Maße von seinem kulturellen Hintergrund und seiner Sozialisation ab. Schon das Erkennen einer Information als solche ist also schon von einer Menge Unwägbarkeiten beeinflusst. Glücklicherweise bestehen zwischen den Menschen in einer Firma viele Ähnlichkeiten, sonst würde man vermutlich ständig nur vor sich hin reden, ohne dass die anderen merken, dass man ihnen etwas sagen will.

Danach geht es natürlich noch um den Sinn der Mitteilung. Der Empfänger wählt aus, ob die Information für ihn sinnhaft ist. Das wird wesentlich seine Reaktion und damit die Fortsetzung der Kommunikation, die Anschlusskommunikation beeinflussen. Und hier wird es besonders spannend, denn selbst wenn der Empfänger einen Sinn in der Mitteilung erkennt, also für sich auswählt, ist immer noch völlig offen, ob das der Sinn ist, den der Sender gemeint hat[5]. Und selbst wenn das so ist – was weit seltener vorkommt, als man glaubt – kann der Empfänger dann dieses Sinnangebot annehmen oder ablehnen, er kann es bejahen oder verneinen oder irgendetwas dazwischen. Hier befinden wir uns längst nicht mehr auf rationalem Terrain, sondern die Sinnselektion des Empfängers wird ganz stark von Emotionen beeinflusst.

Und wenn diese ganzen Selektionen gelaufen sind, dann geht es wieder von vorne los. Der bisherige Empfänger wird zum Sender, wird sich entscheiden, ob er etwas erwidert, nachfragt, zustimmt, gegenhält, es weitererzählt, ein Antwortmail schreibt mit einem riesigen Verteiler oder oder oder. Ganz schön unübersichtlich! Eigentlich ein Wunder, dass Menschen sich manchmal doch verstehen. Oder glauben sie das nur?

Es wird immer etwas anderes verstanden, als gemeint war – das ist gesetzmäßig so und im Prozess angelegt. Auch wenn wir dies als Mangel empfinden, ist es doch eine glückliche Fügung, die den Sinn der Kommunikation ausmacht und soziale Systeme, also auch Unternehmen, erst zusammenbringt. Der Erfolg von Kommunikation ist nicht die Übereinstimmung, der Konsens von Information beim Sender (Alter) und Empfänger (Ego), das geht nämlich überhaupt nicht. Kommunikation ist erfolgreich, wenn sie sich fortsetzt, also wiederum Kommunikation erzeugt. Und das gelingt nur, wenn Kommunikation misslingt – paradox!

Nur durch Anschlusskommunikation entstehen soziale Systeme und entwickeln sich. Wenn es uns also um die Gestaltung von Unternehmen geht, dann müssen wir dafür sorgen, dass Anschlusskommunikation möglich ist, gefördert wird. Kommunikationsmanagement darf nicht auf das Verbreiten bestimmter Informationen oder Botschaften fokussieren, das ist beschränkt. Kommunikationsmanagement muss Bedingungen schaffen, dass möglichst viel, möglichst vielfältige und vielschichtige Kommunikation geschehen kann. Es müssen Gespräche und Diskussionen provoziert und in Gang gehalten werden, es muss Foren und Treffpunkte geben, das Kantinengespräch muss gefördert werden, die Mitarbeiter brauchen Zugänge zum Internet, müssen in regionale Diskussionen eingebunden und zu Fachkongressen geschickt werden. Durch offene Dialoggruppen zu den unterschiedlichsten Themenstellungen kann die Entwicklung der Unternehmenskultur gefördert werden, denn Kultur entsteht durch Kommunikation. Das man diese Prozesse nicht beherrschen kann, liegt auf der Hand, aber man kann sie unterstützen, begleiten, formen und an ihnen teilnehmen.

 

 

 

[1] Natürlich hängt an allem, was in Unternehmen ausgetauscht wird, an Werkstücken und Leistungen, in irgendeiner Form Information. Streng genommen ist also auch der Stoffaustausch letztlich Informationsaustausch. Aber so weit wollen wir unsere Betrachtungen hier nicht treiben.

[2] Autopoiese ist ein systemtheoretischer Terminus, eingeführt von Varela und Maturana (z.B. in Francisco J. Varela, Humberto R. Maturana, and R. Uribe "Autopoiesis: The organization of living systems, its characterization and a model", Biosystems, Vol. 5 (1974), pp. 187–196). Gemeint ist damit die Eigenschaft bzw. der Prozess der Selbstreproduktion eines Systems. Niklas Luhmann hat den Begriff auf soziale Systeme angewandt, die sich durch Kommunikation selbst erzeugen und entwickeln (vgl. Kapitel 6).

[3] Ich verwende hier schon mal den Begriff des Kommunikationsfeldes, weil er auf die Mehrdimensionalität von Kommunikation in sozialen Systemen hinweist. Diese entsteht nicht nur durch die Ebenen Zeit und Sache, sondern vor allem durch die Vielzahl der in sozialen Systemen an Kommunikation Beteiligten und deren wiederum unterschiedliche Systemeinbindung, konstellative Verankerungen, Interessenlagen usw. Der Begriff Kommunikationsfeld löst Kommunikation aus der 1:1-Situation von Personen und wird dem systemischen, organisationalen Charakter von Kommunikation besser gerecht.

[4] In Fourier, Stefan: Wandel verstehen; Edition Humanagement, Hannover 2007, S. 48 ff. ist das Resonanzmodell erläutert, welches die besondere Bedeutung des Empfängers für das „Gelingen“ von Kommunikation herausstellt.

[5] Man kann sich dem Thema Kommunikation noch extremer annähern, indem man die Übertragbarkeit von Informationen, jede Art von Informationsfluss, ganz grundsätzlich in Frage stellt. Danach entsteht Information ausschließlich im „Kopf“ des Empfängers, weitgehend unabhängig von dem, was da gesendet wird. Diese Auffassung von Kommunikation gewinnt Berechtigung bei der Beschäftigung mit gesellschaftlich isolierten Gruppen, aber auch im Marketing. Wie schafft man es, ohne direkte Botschaft (weil die entweder nicht gewollt ist, nicht gehört wird oder keinen Zugang findet) eine bestimmte, handlungsleitende Information bei den Betreffenden quasi entstehen zu lassen.