Kennziffern versus Bewertung

Kennziffern sind im Management weit verbreitet. Man versucht, alles mit Zahlen zu erfassen, Mengen, Zeiten, Verbräuche, Kosten und so weiter. Selbst vor den Menschen wird nicht halt gemacht. Mittels Fragebögen wird die Eignung für bestimmte Aufgaben ermittelt, Denkstrukturen werden kartographiert und Verhaltensprofile aufgestellt.

Man kann das ja alles machen. Fragt sich nur, wozu man die „Zahlen, Daten, Fakten“ dann verwendet. Zunächst sollen Zustände oder Prozesse vergleichbar gemacht werden. Das ist sicher in Ordnung, solange man nicht Äpfel mit Birnen vergleicht, also die verschiedenen Koordinatensysteme sauber voneinander abgegrenzt werden. Jenseits des Vergleichens beginnt dann aber schon sehr schnell der Missbrauch. Indem die Zahlen zu einem ausreichenden Abbild der Wirklichkeit erhoben werden, beginnt wilde Spekulation. Die Wirklichkeit ist nämlich viel zu komplex, um sich mit Zahlenwerken hinreichend abbilden zu lassen. Damit erhält man immer nur den Ausschnitt der Wirklichkeit, in dem die Zahlen erhoben wurden. Sowohl außerhalb dieses Ausschnitts als auch intern existieren viele nicht erfasste – und meist auch nicht erfassbare – Tatsachen und Einflüsse, so dass die Wirklichkeit oft weit entfernt ist von dem Bild, was Manager von ihr haben. Das ist eigentlich auch nicht weiter schlimm, weil diese Lücke durch etwas ganz Fundamentales, zum menschlichen Wesen Gehörendes geschlossen wird: durch die Bewertung.

Jeder kennt das. Wir haben bei weitem nicht alle Fakten vorliegen, können wir gar nicht, und treffen dann trotzdem eine Entscheidung. Wir tun das auf der Grundlage unserer Bewertungen. Und damit liegen wir oft ganz richtig, manchmal auch nicht. Das heißt, mit diesem Vorgehen übernehmen wir Risiko. Daran führt kein Weg vorbei.

Die anschwellenden Zahlenwerke in Unternehmen – und nicht nur dort – führen zu einigen interessanten Erscheinungen. Zunächst glaubt man häufig, mit einem dreißigseitigen Kennziffernkatalog eine objektive Basis zu haben, fühlt sich sicher, zu sicher und übersieht, dass es auch ganz anders kommen kann. Man wird von den Zahlen eingelullt.

Als nächstes schwindet die Bewertung. Braucht man ja nicht, man hat ja die Zahlen. Bewerten ist auch viel zu riskant. Und dieses Risiko bleibt dann beim Manager hängen. Mit den Zahlen hat er stattdessen ein gutes Alibi, alles richtig gemacht zu haben. Also führen die Zahlenwerke zur Reduzierung der Entscheidungsfreude. Das wird noch verstärkt dadurch, dass Fehlentscheidungen zunehmend hart geahndet werden.

Zahlen und Kennziffern können eine Orientierung geben. Sie können eine Basis für Bewertungen liefern, aber niemals Bewertungen ersetzen. In einer komplexen Welt wird der Bewertungsanteil steigen. Und damit die Bedeutung der Bewerter. Die wird so groß, dass einzelne Bewerter überfordert sind. Wir müssen es lernen, gemeinschaftlich zu bewerten, diskursiv heranzugehen. Leadership wird sich von einer individuellen Kategorie zu einer kollektiven wandeln. Führungsteams müssen die Verantwortung übernehmen. Sie nicht von einem zum anderen schieben, sondern Wege zur Gemeinsamkeit finden.