Kommunikation und Konformität

Die Olympischen Spiele haben in mir einen schrecklichen Verdacht aufkommen lassen. Es begann schon mit den vorolympischen Berichterstattungen in den deutschen Medien und setzte sich bei den Übertragungen aus Peking besorgniserregend fort. Es ist der Verdacht, dass unsere freiheitlichen Medien, unsere unabhängigen Journalisten überhaupt nicht so frei und unabhängig sind, wie wir alle und sie selbst es glauben.

Woran macht sich dieser Verdacht fest? Es begann damit, dass in den Zeitungsartikeln über die Vorbereitungen der Chinesen auf Olympia meist mehr als die Hälfte des beschriebenen Platzes mit Berichten oder Erklärungen, bzw. mit Meinungsäußerungen über Berichte und Erklärungen, über die Menschenrechte und deren Verletzungen gefüllt war. Nun bitte ich, mich nicht misszuverstehen: Menschenrechtsverletzungen sind so ungefähr das Schändlichste, was man sich vorstellen kann. Sie kommen gleich nach Krieg. Und es ist dabei unerheblich, wer sie begeht. Er gehört an den Pranger, seien es die Taliban in Afghanistan, die Amerikaner im Irak oder in den USA selbst oder eben die Chinesen in China und Tibet. Ich finde es aber übertrieben, zumindest äußerst auffällig, wenn sich jeder – wirklich jeder – Journalist in jeder Berichterstattung zu Olympia immer wieder umfangreich mit dem Thema Menschenrechte beschäftigt. Mal abgesehen davon, dass die meisten ja sowieso nur das wiederkäuen, was sie selbst oder andere bereits mehrfach zum Thema geschrieben haben, führt das bei allen Lesern zur gleichen Reaktion: Sie überlesen es.

Die Krönung des Ganzen fand dann im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur besten Sendezeit statt, als Nikolas Kiefer völlig Zusammenhangloses ins Mikrofon erzählte, nur weil er offenbar der Meinung war (oder dazu angehalten wurde?) sich nun auch noch zu diesem Thema zu äußern. Er schien dann während seiner Sätze irgendwie die Peinlichkeit zu bemerken und versuchte es mit einer Rechtfertigung, warum er überhaupt nach Peking fährt. „Wegen des Sports“, war seine Erkenntnis. Da wären die Zuschauer vermutlich nicht von allein drauf gekommen.

Während der Olympischen Spiele kam dann noch ein weiteres Thema dazu, nämlich das Doping. Es wurde, zumindest im Zusammenhang mit den einschlägig belasteten Sportarten und auch hier wieder besonders bezüglich der Chinesen, in ähnlicher Weise in den Vordergrund geschoben, ob es nun passte oder nicht. Den absoluten Knaller lieferte aber Johannes B. Kerner, der ja bekanntlich einen großen Drang danach verspürt, sich hin und wieder als das Gewissen der Nation und Super-Terminator in Szene zu setzen. Da lud er zu abendlicher Stunde Michael Johnson, einen der größten Leichtathleten aller Zeiten, ins Pekinger Studio ein, redete über dies und das mit ihm und fiel plötzlich mit einigen Fragen zum Doping über ihn her. Er stellte diese Fragen natürlich nicht direkt, sondern schwierig verklausuliert, denn er wollte Michael Johnson offensichtlich des Dopings überführen oder zu irgendwelchen unüberlegten Äußerungen bringen. Aber – im Gegensatz zu seinerzeit Eva Hermann – erwies sich dieser als wesentlich stärker. Unter dem Beifall der Zuschauer entlarvte Michael Johnson die Kernerschen Fragen als dumm und unser Johannes B. sah ziemlich schlecht aus. Und dann kam eine bemerkenswerte Bemerkung von Michael Johnson. Er sagte, dass es auffällig sei, dass immer wieder die Vertreter deutscher Medien so penetrant und teilweise unfair nachfragten.

Das alles ging mir nicht aus dem Kopf. Sollte da irgendjemand dahinter stecken, der den Journalisten Weisungen erteilt, welche Themen sie besonders aggressiv und wiederholt ansprechen sollen? Das kann ich nicht glauben, denn schließlich leben wir in Deutschland nicht in einer Diktatur. In der DDR war so etwas durchaus üblich. Dort wurden die Themen direkt vorgegeben bzw. die Journalisten wussten, was die Zensur lesen und hören wollte. Deshalb wurden immer, egal bei welchem Thema, das Lob auf den Sozialismus und die Kritik am Klassenfeind vorangestellt und mehrfach wiederholt. Am Ende kamen dann Zeitungsartikel oder Fernsehbeiträge heraus, die den hier zitierten Beispielen der Olympiaberichterstattung ähnelten. So kann es aber in einer Demokratie nicht laufen. Welcher Mechanismus wirkt also?

Die Antwort ist hochinteressant. Wir haben es hier mit gruppendynamischen Prozessen zu tun, die ich unter dem Begriff Konformität zusammenfasse. In jedem System werden seine Teile mehr oder weniger stark (das hängt von Situation und Thema ab) zur Konformität gezwungen. Das geschieht unabhängig vom bewussten Wollen und der aktiven Einflussnahme Einzelner, ist aber extrem wirkungsvoll. Wir kennen so etwas von Meinungsbildungsprozessen in Unternehmen, beim Mobbing in Teams und anderen, mehr oder weniger „automatisch“ ablaufenden Vorgängen. Und so scheint es auch bei der deutschen Olympiaberichterstattung zu sein. Die gesamte Medienbranche hat offenbar verinnerlicht, dass es konform ist, die Chinesen in Sachen Menschenrechte und bestimmte Sportarten immer wieder bezüglich Doping auf die Oberfläche zu ziehen. Das ist fast schon eine Art vorauseilender Gehorsam. Jeder macht es, alle wollen sich dabei übertrumpfen, nur ganz wenige unterlassen es und niemand wendet sich dagegen.

Wir können uns nun wieder zufrieden zurücklehnen. Es ist also offenbar ein völlig normales Phänomen, was uns zwar manchmal den Genuss an einer Sportreportage etwas verleidet, aber beileibe nicht an der Demokratie zweifeln lassen muss. Da ist kein Diktator oder Zensor im Hintergrund, der uns alle manipuliert. Trotzdem finde ich es traurig. Und gefährlich! Zu allen Zeiten und in allen vorangegangenen Regierungsformen, DDR und Naziregime eingeschlossen, sind die meisten Menschen dem gefolgt, von dem sie meinten, es wäre von den Mächtigen gewünscht. Unkritisch und auf Konformität bedacht. Es wäre also gut, wenn unsere Medien und Journalisten hier mehr auf der Hut wären.

Zum Glück gibt es Journalisten wie Jürgen Todenhöfer, die sich nicht die Augen verschmieren lassen, die nicht dem Informations-Mainstream folgen und einfach abschreiben. Er fährt selbst zu den Brennpunkten und berichtet über die Menschen, ohne politische Verbiegung. Größte Hochachtung!

P.S. Glücklicherweise hat sich im Verlaufe der Olympischen Spiele die Berichterstattung nach und nach verändert. Jetzt stehen der Sport, die Leistungen und die Freude der Olympioniken wieder im Vordergrund.