Komplexität - die Ursache vielen Übels und wie man ihr begegnet

Das Komplexitätsthema wird von vielen Menschen als ziemlich theoretisch wahrgenommen. Das liegt daran, dass es uns ständig umgibt. Wir kennen praktisch nichts Anderes, als in komplexen Situationen und Problemen zu stecken. Und irgendwie kommen wir ja damit auch zurecht. Meistens jedenfalls. Manchmal allerdings kommt es ganz besonders „dicke“ und dann haben wir so richtig Stress. Wie der Geschäftsführer, dessen mittelständische Firma von einem Konzern übernommen wurde und der sich plötzlich allen möglichen neuen Anforderungen gegenübersah. Und zwar allen gleichzeitig. Da wurde aus der „gewohnten“ Komplexität das reine Chaos. Die Planungs- und Budgetierungsprozesse, die Berichtswege, Beschaffung, Logistik, das Produktportfolio, Belegschaftsstärke, seine neuen Vorgesetzten – alles veränderte sich plötzlich auf einmal. Und außerdem musste er ja auch noch das Tagesgeschäft organisieren. 

Wenn die Aufgabenfülle anschwillt, die Anforderungen steigen und jeden Tag neue Probleme bisher nicht gekannter Art hinzukommen, dann denken die meisten Menschen nicht an Komplexität, sondern suchen die Ursachen bei ihren Vorgesetzten, in den „Umständen“, bei den unfähigen Mitarbeitern oder weil eben einfach die Arbeitsdichte steigt. Damit einher gehen zunehmende Fehleranfälligkeit, Unübersichtlichkeit, das Eintreten jäher Wendungen. Ein Einzelner ist dieser Situation nicht gewachsen. Keine Chance, das alles zu schaffen oder auch nur unbeschadet herauszukommen.

Die Wahrheit ist aber: Hinter all dem steckt die ständig wachsende Komplexität unserer Welt. Das heißt, die gefühlte Druckerhöhung ist objektiv verursacht. Darauf müssen wir unsere Gegenmaßnahmen ausrichten. Die Behandlung der Symptome reicht nicht, sondern wir müssen den komplexer werdenden Herausforderungen mit den Kräften unserer sozialen Systeme zu Leibe rücken. Näheres dazu habe ich in meinem Buch „schlau statt perfekt“ beschrieben (Leseprobe).

Wir brauchen also Hilfe von anderen, von Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten, von Kooperationspartnern, Familienangehörigen, Freunden und Außenstehenden. In der Regel haben diese Leute aber auch schon genug zu tun und stecken allzu oft in ähnlich schwierigen, weil komplexen Situationen. Wie kann man sie trotzdem aktivieren? Aber nicht, indem man ihnen mehr aufbürdet – das würde sich sehr schnell rächen, sondern indem man sie entlastet und auf die Aufgaben ansetzt, für die sie wirklich talentiert sind. Diesen Fragen gehen wir unter anderem in unserer Komplexitätswerkstatt gemeinsam systematisch nach.

Im Falle des oben genannten Geschäftsführers haben wir uns zunächst eine Übersicht über das gesamte Anforderungsspektrum verschafft und eine entsprechende Struktur entwickelt. Dabei hatte er bereits das erste Aha-Erlebnis, weil die anderen Teilnehmer der Komplexitätswerkstatt – allesamt erfahrene Führungskräfte aus unterschiedlichsten Bereichen – durch ihre verschiedenen Blickwinkel zu einem für ihn überraschenden Gesamtbild mit unterschiedlichen Gewichtungen kamen. Was vorher für ihn von höchster Dringlichkeit schien, zum Beispiel die Berichterstattung zum Konzern, relativierte sich plötzlich und machte Platz für andere, wichtige Teilthemen. Mit dieser Struktur diskutierten wir dann die Möglichkeiten, einzelne Aufgabenkomplexe von anderen Leuten aus seinem Umfeld übernehmen zu lassen. Wer könnte Komplex A verantwortlich übernehmen? Wer hat Talent dafür, zunächst unabhängig davon, ob er aktuell dafür die erforderliche Ressource hat. Das klären wir dann im nächsten Schritt und suchen nach Möglichkeiten, die Talente für die Herausforderungen freizuschaufeln. Dabei geht es dann schon ziemlich ins Detail und es gelingt nicht immer. Aber stets öfter, als zunächst angenommen.

Wie meistens war es auch im Falle unseres Geschäftsführers an dieser Stelle besonders spannend. Die Diskussion bewegt sich dort nämlich auf der Bedingungsebene, also bei der Frage: Was hindert mich daran, diesen oder jenen Weg zu gehen und was muss ich tun, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen? Die Lösungen sind die sogenannten Trigger, deren Bearbeitung meist nicht nur ein Problem lösen, sondern meist gleich eine ganze Serie. Einer der Trigger in unserem Beispiel war, einen Automatismus für die Berichtserarbeitung zu entwickeln, der den Aufwand dafür auf die Hälfte reduziert. Der Geschäftsführer setzte eine Arbeitsgruppe daran und konnte nach zwei Monaten berichten, dass plötzlich bei ihm selbst und bei seinen engsten Mitarbeitern mehr Zeit für die Bearbeitung anderer, wichtiger Aufgaben verfügbar war.

Jetzt könnten Sie natürlich fragen, wieso der Geschäftsführer nicht allein auf diese Idee gekommen ist. Die Antwort ist ganz einfach. Er wäre sicher darauf gekommen, wenn er nur dieses eine Problem gehabt hätte. Hatte er aber nicht! Er musste an allen Fronten gleichzeitig kämpfen. Und jeder von uns wird dabei ganz schnell die Übersicht verlieren. Genau dabei hilft die Komplexitätswerkstatt. Gemeinsam werden dort die komplexen Problemlagen der einzelnen Teilnehmer beleuchtet. Und ganz nebenbei werden Lösungsprinzipien erlernt und gefestigt.