Mentoring

Was ist das eigentlich? Der Begriff kommt immer mehr in aller Munde, und wie das dann häufig so ist, seine Bedeutung shiftet.

Dabei hat der Begriff eindeutige Wurzeln. Mentor ist eine Figur aus Homers Epos Odyssee, nämlich ein Freund des Helden Odysseus und Beschützer von dessen Sohn Telemachos. Er wachte über ihn und gab ihm Ratschläge. Daraus abgeleitet ist ein „Mentor“ also ein älterer - kluger und wohlwollender - Berater eines jungen Menschen, des „Mentees“. Im französischen Sprachraum spricht man auch vom Protegé.

Mentoring ist also eine Form der Förderung einer jungen und unerfahrenen, aber talentierten Person bei ihrer beruflichen (und persönlichen) Entwicklung. Das besondere Merkmal dabei ist, dass diese Unterstützung in einer direkten, persönlichen Weise durch eine ältere Person erfolgt, die auf dem Gebiet, in das der Mentee hineinwachsen will, umfangreiche Erfahrungen hat.

Schaut man sich diese Definitionen an, so scheint auf den ersten Blick zunächst alles klar. Es geht also, sollte man meinen, um das Vermitteln/Übertragen von Wissen und Erfahrungen. Genau hier steckt aber schon die erste von drei Fallen.

Falle Nummer 1:

Erfahrungen kann man nicht vermitteln! Man muss sie machen. Wissen kann man vermitteln, doch dazu braucht es keinen Mentor, da kann man auch ein Buch lesen. Aber Erfahrungen entstehen ausschließlich auf der Erlebensebene. Man kann zwar über Erfahrungen lesen, kann aber nicht die Erfahrung selbst lesen. Die Speisekarte ersetzt nicht das Essen.

Für Mentoring bedeutet das: Es geht in erster Linie darum, den Mentee bei seinem Erleben zu unterstützen, also gemeinsam mit ihm sein Erleben aufzuarbeiten, so dass es dadurch zur Erfahrung gerinnt. Und in diesem Prozess muss der Mentor unbedingt seine eigenen Erfahrungen einbringen, weil sie für den Mentee den nötigen und von diesem einzig akzeptierten Reflexionshintergrund bieten und ihm Sicherheit geben.

Ein guter Mentor wird auch immer nach Gelegenheiten Ausschau halten, die seinen Mentee in neue Herausforderungen stellen. Er wird also aktiv das Bewährungsfeld gestalten, um sich dann mit dem Mentee über dessen Erleben auszutauschen. So gewinnt dieser seine Erfahrungen und reift als Persönlichkeit für neue, größere Aufgaben heran.

Daraus wird völlig klar, dass der Mentor nicht von außen kommen kann, sondern er muss quasi den Weg schon gegangen sein, den der Mentee noch vor sich hat. Nun tut sich hier die

Falle Nummer 2

auf. Wir beobachten seit einiger Zeit vermehrte Anstrengungen externer (und interner) Coachs, Berater und Managementtrainer das Gebiet des Mentoring zu besetzen. Ich verstehe ja den Versuch, sich ein weiteres Gebiet für Aufträge zu erschließen. Hier stecken aber Gefahren für beide Seiten. Die Mentees werden nicht den erhofften Fortschritt erzielen, weil sie es mit Partnern zu tun haben, die von der Sache, um die es geht, keine eigenen Erfahrungen (aus eigenem Erleben) haben. Ein psychologisch bestens ausgebildeter und langjähriger Coach war eben nicht selbst Bereichsleiter, Geschäftsführer oder Politiker. Worüber also will er reflektieren, was will er vermitteln. Es wird immer theoretisch bleiben. Nicht umsonst war der Mentor von Helmut Kohl nicht ein Journalist oder Psychologe, sondern Konrad Adenauer.

Aber auch für den vermeintlichen „Mentor“, der ja in Wirklichkeit die erforderlichen Merkmale gar nicht erfüllt, ist die Situation riskant. Er wird nämlich die Erwartungen des Mentees nicht erfüllen und dadurch seinen eigenen Ruf beschädigen. Die Mentees sind nämlich keine hilfsbedürftigen Kinder, sondern talentierte und ehrgeizige junge Leute, die sehr auf Effizienz bedacht sind.

In einer zunehmenden Zahl von Unternehmen gibt es bereits seit einiger Zeit Mentoring-Programme. Besonders gehören hier amerikanisch geführte Unternehmen zu den Vorreitern. Interessanterweise beobachtet man hier

Falle Nummer 3:

Das Mentoring wird durchorganisiert. Die Partner werden bestimmt, treffen sich nach einem festgelegten Plan. Es werden Berichte geschrieben und natürlich ausgewertet. Alles läuft hocheffizient und beim Personalbereich zusammen. Ich habe mit Betroffenen gesprochen und Reaktionen von einem müden Lächeln für den ganzen Aktionismus bis hin zu heller Frustration angetroffen. In Einzelfällen gab es eine positive Bewertung, wenn nämlich, mehr oder weniger zufällig, die richtigen Partner zusammen gekommen waren und sich gut verstanden. Das Letzte ist der entscheidende Punkt: Da Mentoring auf eine sehr persönliche Weise erfolgt, muss unbedingtes Vertrauen zwischen den Partnern herrschen, die Chemie muss stimmen. Das alles ist äußerst vielschichtig und lässt sich nicht herbei organisieren. Hier muss die freie Wahl für beide Seiten herrschen, für Mentee und für Mentor. Man sollte dem Mentee die Wahl überlassen.

Um diese Fallen (und einige weitere) zu vermeiden, gibt es bei Humanagement die Idee des Mentor‘s Circle, welcher in Unternehmen alle internen Mentoring-Aktivitäten unter den Prinzipien von self-selecting und self-organizing zusammenfasst. In ihm stellen sich die potenziellen Mentoren eines Unternehmens gemeinsam dem „Nachwuchs“ zur Verfügung. Im Mentor‘s Circle tauschen sie sich über ihre Erfahrungen beim Mentoring aus, entwickeln neue Ideen dafür und rüsten sich auch mit dem erforderlichen psychologisch-pädagogischen Handwerkszeug aus. Sie nehmen das Mentoring also in die eigenen Hände – schließlich geht es um ihren eigenen Nachwuchs – und überlassen es nicht der Personalabteilung.

Dieses Engagement entspringt dem Nutzen, den die Mentoren selbst aus dem Mentoring ziehen. Sie erhalten durch ihre Arbeit mit den Mentees jede Menge Informationen „von der Basis“, die häufig ehrlicher sind als die Informationen des Dienstwegs. Sie bekommen Anregungen und Impulse, andere Sichtweisen und direkten Zugang zu neuem Wissen. Nicht zu unterschätzen ist ein weiterer Aspekt: Die Mentoren scharen durch das Mentoring eine gute, verlässliche und durch sie selbst und eigene Werte geprägte Mannschaft um sich.

Nicht zu unterschätzen in den heutigen Zeiten!