Performance 2. Ordnung

Anlässlich eines Vortrags, den ich vor hessischen Unternehmern zum Thema Change Excellence gehalten habe, gab es in der Pause ein interessantes Gespräch mit dem Geschäftsführer eines mittelständischen Autozulieferers. Er fand die von mir vertretenen Thesen allesamt interessant und nützlich, meinte dann jedoch, dass er mit seinem Unternehmen in einer Situation steckt, in der ihm dies alles nichts nützt. Er habe nämlich keine Aufträge mehr und somit kein Geld. Also könne er nichts tun, um neue Prozesse, alternative Produkte und neue Marktchancen zu entwickeln. Er müsse jetzt einfach mal abwarten, bis die Krise vorbei ist. Das heißt Kurzarbeit, auch Entlassungen und Bettelei bei der Bank und bei Gläubigern. Danach, so meinte er mit müder Hoffnung in der Stimme, danach könne es wieder losgehen. Ich fragte ihn, was er sich denn so vorstelle beim „Danach“, ob er da etwas anders machen will. Genau an dieser Stelle wich er aus. Es könne ja nicht ewig so weitergehen, irgendwann müsse der Automarkt ja wieder anspringen und so weiter.

Ich verstehe den Mann. Er ist mit seinem Unternehmen, und sicher auch persönlich, in einer schwierigen Situation. Und darin ist er nicht allein. Wie ihm geht es jetzt vielen Unternehmen. Sie haben einfach keine Alternativen. Es ist ihnen nicht gelungen, die Strukturen, Prozesse und Marktalternativen zu entwickeln, die in dem Moment greifen, in dem sich die Bedingungen für das Unternehmen grundlegend verändern. Das muss man nämlich vorher tun, in der Krise selbst hat man kaum noch Möglichkeiten dazu.

Um diese Notwendigkeit zu verdeutlichen, habe ich vor einiger Zeit in meinem Blog ein Gedankenexperiment beschrieben. Es macht deutlich, dass die Strukturen, die in der Krise und danach das Überleben sichern, bereits vor Beginn der Krise als Alternativen bereit stehen müssen. Auch in der Natur ist das so. Bei der Veränderung der Lebensbedingungen werden nur die Mutationen einer Art überleben, die auf die neuen Bedingungen angepasst sind. Aber sie müssen eben da sein, vorher bzw. bei Beginn der Krise. Und Gleiches gilt für Unternehmen.

Unternehmen stehen also vor der Herausforderung einer ständig zu erbringenden Zusatzleistung. Zusätzlich zur permanenten Prozessverbesserung, Qualitätssteigerung und Produktentwicklung, zusätzlich zu Marketing, Pressearbeit, Social Responsibility und Corporate Governance, zusätzlich zur Qualifizierung der Mitarbeiter und so weiter. Sie müssen sich – zusätzlich zu all dem – permanent mit Fragen auseinandersetzen, wie

  • Ist das Unternehmen ausreichend auf plötzlich eintretende, gravierende Änderungen seines Umfelds vorbereitet?
  • Gibt es bereits Produktalternativen, auf die es umsteigt, wenn die aktuellen Produkte plötzlich nicht mehr laufen?
  • Ist das Unternehmen strukturell so aufgebaut, dass ein plötzlicher gravierender Einbruch nicht seine Gesamtexistenz gefährdet?
  • Sind die Prozesse der Supply Chain so robust, dass sie auch noch funktionieren, wenn die Lieferanten ins Straucheln kommen? (Stichwort: Business Continuity)
  • Sind die Menschen so mit dem Unternehmen identifiziert, dass sie auch unter den Extrembedingungen einer Krise – mit all den Ängsten, die nicht zuletzt auch von außen durch die Medien geschürt werden – trotzdem motiviert bleiben?

Um diese Fragen alle positiv beantworten zu können, bedarf es tatsächlich einer gewaltigen Zusatzleistung. Ich nenne sie Performance 2. Ordnung. Ich habe sie und ihre Abgrenzung von der Normalleistung (Performance 1. Ordnung) unter anderem in einem SPOT beschrieben, den Sie sich hier von der Humanagement-Website herunterladen können.
Unternehmen, die diese Leistung erbringen, nähern sich damit einem Zustand, den ich als

Change Excellence

bezeichne. Ich habe schon im Infobrief März und an verschiedenen anderen Stellen darüber geschrieben. Auch in der gleichnamigen Keynote widme ich mich diesem Thema, was der Begriff meint und wie man Change Excellence nahe kommt.
Glücklicherweise handelt es sich dabei nicht um ein Abstraktum. Es gibt eine Fülle von Beispielen namhafter Unternehmen, die dem Konzept von Change Excellence folgen und Performance 2. Ordnung erbringen, auch wenn sie noch nicht diese Terminologie verwenden. Beispielsweise wird Siemens seit zwei Jahren von Peter Löscher zielgerichtet umgebaut. Seine konsequente Hinwendung zur Medizintechnik, die es natürlich auch schon vorher gab, die jetzt aber deutlich erweitert wird und beispielsweise auch Blutplasma beinhaltet, bedeutet eine klare Alternative zu den bisherigen Kernbereichen. Auch im traditionellen Siemens-Kerngeschäft Energie wird zu alternativen Technologien umgesteuert. Und Löscher hat Recht behalten, denn Siemens ist zur Zeit weniger krisengeschüttelt als andere. Allerdings gehen diese Entwicklungen bei Siemens einher mit einer extremen Zentralisierung. Diese ist vermutlich notwendig, um die Neuausrichtung des Konzerns durchzusetzen. Langfristig bietet sie jedoch nicht die Gewähr für eine aktive unternehmerische Ausgestaltung der einzelnen Felder. Ich gehe davon aus, dass diesbezüglich in absehbarer Zeit ein Kurswechsel stattfinden wird.

Im Managermagazin April sind weitere Beispiele beschrieben, wie Apple, Nespresso, Hilti und Fujifilm. Allerdings irren die Autoren im Untertitel. Dort sagen sie nämlich, dass diese Unternehmen sich „… in Existenznot neu ausgerichtet haben“. Falsch! Das haben sie bereits vorher gemacht, getrieben von Zukunftsszenarien und vorausschauenden Managern. Zugegeben, ein bisschen konkreter Druck in Form wegbrechender Margen war schon auch dabei. Schließlich schaut kein Manager in die Zukunft, wenn ihn nicht die Gegenwart ein bisschen dazu zwingt.

Aber, ich bin optimistisch. Auch aus der aktuellen Krise werden einige ihre Schlussfolgerungen ziehen und sich zur Schar derer gesellen, die weit vorausschauend führen. Diese Manager werden mit ihrem Weitblick und ihrer aktiven Sorge um langfristige Erhaltung tatsächlich unternehmerischen Ansprüchen gerecht. Dabei kann Change Excellence als gedankliches Konzept helfen.
Change Excellence ist nämlich genau das: Ein unternehmerisches Konzept.

Ich werde in den nächsten Monaten an verschiedenen Stellen Change Excellence immer wieder in den Fokus meiner Publikationen stellen. Ich empfehle daran interessierten Lesern, meinen Blog auf www.fourier.de zu verfolgen. Außerdem finden sich dort immer wieder ein paar alte und neue Geschichten sowie meine Gedanken zu aktuellen gesellschaftlichen Ereignissen. Das wäre auch eine gute Umgebung, über diese Dinge zu diskutieren.