Strategie und das Unvorhersehbare der Zukunft

In meinem neuen Buch „Jenseits vom schnellen Gewinn – Was Unternehmen langfristig stark macht“ (Orell Füssli, 2010) beschäftige ich mich unter anderem mit der Wirkung von Strategie und der Frage, ob die bekannte strategische Beratung für die wachsende Dynamik der Zukunft überhaupt noch die erhofften Antworten hervorbringen kann. Antworten auf die Frage, wie man sein Unternehmen langfristig erfolgreich halten kann.

Ich melde da einige Zweifel an, die hauptsächlich damit zu tun haben, dass sich die Bedingungen, unter denen Unternehmen in Zukunft existieren und Erfolg haben müssen, immer weniger vorhersehbar sind und sich viel stärker als bisher überraschend verändern werden. Das heißt nicht, dass wir auf strategisches Denken, welches sich ja in erster Linie durch seine Systematik auszeichnet, verzichten sollen. Im Gegenteil! Wir müssen uns jedoch von der häufig leider sehr verbreiteten Vorstellung lösen, dass Strategien uns wesentlich sicherer machen können unter den zunehmend chaotischeren Bedingungen der Zukunft.

Ein besonderes Merkmal von Strategie ist nun einmal Langfristigkeit (Mittelfriststrategien liegen üblicherweise zwischen 2 und 4 Jahren, Langfriststrategien reichen weiter). Dort liegt aber genau die Krux, wenn die Randbedingungen der ausgearbeiteten Strategien sich nämlich innerhalb dieser Zeiträume ändern. Oft wird das entweder zu spät bemerkt, um die Strategie zu überprüfen und zu verändern. Oft hält man auch zu lange an ihr fest, weil man eben immer noch an ihre Beständigkeit glaubt.

Also in Kurzform und zugespitzt:
Wir sollten Strategien entwickeln, ihnen aber nicht gläubig folgen.

Strategie funktioniert hervorragend unter den Bedingungen sich eher stetig verändernder, träger Märkte. Da ist es möglich, die Strategie stets den Bedingungen und Engpässen anzupassen und nach dem Markt auszurichten. In diesem Paradigma arbeiten die strategischen Abteilungen der globalen Konzerne.

Was aber passiert, wenn Märkte sich plötzlich so ändern, dass dies eben nicht vorhersehbar war, auch nicht durch einen noch so engen Dialog mit den Kunden? Genauso ist es ja kürzlich einigen Autozulieferern ergangen, als plötzlich die Abnahmen seitens der Automobilbauer stockten. Einige haben es nicht überlebt, trotzt Strategie und trotzt engem Kundenkontakt. Wer kann heute wissen, wie sich die nächste Finanzkrise - und sie wird sicher kommen - auswirkt und welche Zweige der Realwirtschaft sie treffen wird? Oder kommt der nächste Schlag auf unser Wirtschaftssystem aus China? Oder aus der arabischen Welt? Niemand kann sich für solche Fälle strategisch vorbereiten!

Denkt man den oben stehenden, provokativen Satz weiter, bedeutet er nichts anderes als strategisches (sprich: systematisches) Denken zur Entwicklung von Zukunftsszenarien, gleichzeitig aber das (wiederum) systematische Hinterfragen ihrer Gültigkeit. Ich plädiere für eine systematische und kontinuierliche Strategieüberprüfung anstatt ereignisgetriebener Korrekturen. In fortgeschrittenen Unternehmen ist das übrigens schon an der Tagesordnung.

Nun muss natürlich niemand daran glauben, dass die oben skizzierten Szenarien wirklich eintreten. Dann braucht man sich sicher nicht mit dieser Frage zu befassen, sondern kann bei den bewährten Techniken und Methoden bleiben. Vermutlich wird es auch niemals alle Unternehmen und Branchen gleichzeitig treffen. Da wir aber in den letzten Jahren schon einige heftige und überraschende Erschütterungen erlebt haben, scheint mir eine Diskussion darüber, was uns helfen kann, wenn uns die Strategien nicht mehr so verlässlich helfen werden wie in den zurückliegenden Jahrzehnten, äußerst angebracht.

Deshalb habe ich den provokanten Slogan „Strategie ist out!“ in die XING-Gruppe Change Excellence eingebracht, einem Forum für Diskussion rund um die Themen von Changeability. Und ich war überrascht, wie heiß plötzlich die Auseinandersetzung wurde. Da wurden Lanzen für die klassische Strategie gebrochen und um Definitionen gerungen. Andere Diskussionsteilnehmer wiederum machten sich dafür stark, die Probleme an sich herankommen zu lassen, um sie dann operativ zu lösen. Manchmal wurde es sogar etwas emotional. Keine Spur also von den manchmal etwas trägen Statements in vielen XING-Gruppen. Anscheinend ist das Thema gerade so richtig „im Schwung“ und vielleicht auch für Sie Zeit und Gelegenheit, sich an der Diskussion zu beteiligen. Für XING-Mitglieder führt dieser Link http://tinyurl.com/2wy6yon direkt zu dieser Gruppe.

Was mir die Diskussion zeigte, für die ich im Übrigen sehr dankbar bin, ist ein offensichtlich im Gange befindlicher Prozess der Umorientierung in Sachen Strategie im Speziellen und Zukunftsbewältigung allgemein. Das deckt sich auch mit Äußerungen prominenter Vordenker, zum Beispiel des Kieler Wirtschaftinstituts bei seinem Global Economic Symposium im September in Istanbul. Alle sprechen von neuen Denkansätzen, Sicherheitspuffern, organischem Wachstum oder Resilienz. Oder eben Changeability. Ich selbst bevorzuge in meinem Buch diesen Begriff, weil er alles einschließt und eine konkrete Eigenschaft benennt, die Unternehmen haben müssen. Nach meiner Auffassung geht es in erster Linie darum, wie Unternehmen SEIN müssen, um an Verhältnisse angepasst zu sein, die sie heute noch gar nicht kennen können.

Diese Unbestimmtheit scheint genau die Schwierigkeit zu sein, mit der mancher in der Diskussion zu kämpfen hat. Es gibt noch keine von allen geteilte Vorstellung darüber, was an die Stelle der klassischen Strategie treten könnte. Aber es gibt Bewegung. Und ich freue mich sehr, dass wir mit der XING-Gruppe Change Excellence bei den Diskussionen ganz vorn mit dabei sind.

Im vergangenen Jahr habe ich mich selbst sehr intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Die Ergebnisse sind in Jenseits vom schnellen Gewinn eingeflossen und auch Gegenstand der Vorträge, die ich zurzeit zum Thema „Höchstleistung ist nicht genug“ halte. Und außerdem arbeiten wir mit Hilfe unseres Change-o-Meters an einer Studie über die Veränderungsfähigkeit deutscher Unternehmen, wie an dieser Stelle bereits berichtet. Für alle Interessenten auch hier noch einmal der Link http://www.change-o-meter.de/13 Mit wenigen Mausklicks und innerhalb von 10 Minuten erhalten Sie hier einen Überblick darüber, wie Ihr Unternehmen in puncto Veränderungsfähigkeit steht, ob es zu den Champions, zu den Normalos oder zu den Todgeweihten gehört.