Verantwortung ist unausweichlich

Verantwortung ist eines der wichtigsten Themen in Unternehmen. Dies hat nicht nur die persönliche Dimension, dass Menschen bei der Erfüllung ihrer Rollen Verantwortung übernehmen müssen, dies jedoch aus den verschiedensten Gründen häufig nicht oder nur in ungenügendem Maße tun. Auch für die Systemsteuerung ist Verantwortung ein äußerst interessantes Thema. Deshalb ordnen wir Verantwortung den sozio-systemischen Erfolgsfaktoren zu (vgl. Script „Stellschrauben für Erfolg“).

Wie wird die Arbeit im Unternehmen verteilt? Wie werden getroffene Festlegungen erfüllt? Wie steht es mit der Pünktlichkeit bei Beginn und am Ende von Veranstaltungen? Wie werden Zusagen an die Mitarbeiter von den Führungskräften eingehalten? Wie steht es mit Ordnung und Sauberkeit? Wie gründlich sind wir auf Besprechungen vorbereitet? Wie viel Verantwortung und auch Entscheidungsfreiheit räumen wir den Mitarbeitern ein? Antworten auf diese Fragen bringen Defizite im Unternehmensalltag am Ehesten ans Licht.

In diesem Sinne beeinflusst das Thema Verantwortung den Erfolg eines Unternehmens viel stärker und auf einer tieferen Ebene, als dies andere Erfolgsfaktoren tun, wie beispielsweise der Erfolgsfaktor Information. Unbestritten ist Information entscheidend für den Erfolg, aber am Anfang stehen die Fragen „Wer ist für Information verantwortlich und wie nehmen diese Personen ihre Verantwortungen wahr?“

Immer dann, wenn es im Unternehmen oder in der Abteilung an die konkrete Arbeit geht, gewinnen Verantwortung und die Art und Weise, wie sie wahrgenommen wird, herausragende Bedeutung. Das trifft sowohl für Einzelpersonen zu, die sich um Verantwortung streiten, vor Verantwortung drücken, anderen die Verantwortung zuschieben und so weiter, als auch für das gesamte Unternehmen.

Beginnen wir mit strukturellen Fragen zur Verantwortung. Unternehmen sind traditionell in Verantwortungsbereiche gegliedert, die ihre Existenz meist bestimmten Fachrichtungen oder Funktionen, wie Technik, Produktion, Verwaltung und so weiter verdanken. Mitunter haben auch bestimmte personelle Überlegungen eine Rolle gespielt, wie beispielsweise die Zuordnung von Geschäftsführungsbereichen zu Anteilseignern. Eine andere Form der strukturellen Gliederung richtet sich nach bestimmten Produktgruppen, wir kennen die Einrichtung von Divisions oder Profitcenters. Andere Bereichszuordnungen basieren auf territorialen Gesichtspunkten.

Im Gegensatz dazu kann man ein Unternehmen auch entlang der in ihm ablaufenden Prozesse gliedern. Diese prozessorientierte Struktur ist sicherlich eine der modernsten Entwicklungsformen der Unternehmensführung. Sie ist beileibe nicht neu: Viele ihrer Prinzipien und Komponenten sind bis weit in die Vergangenheit zu beobachten. Bei diesem Ansatz geht es immer darum, die Grenzen, welche traditionelle Bereichsorganisationen innerhalb eines Prozesse aufbauen, aufzuheben und die Wertschöpfung stromlinienförmiger zu machen. Damit zielt die Einführung von prozessorientiertem Management auf Qualitätssteigerung, Erhöhung der Kundenzufriedenheit, Kostensenkung und Zeitersparnis. Die Effekte treten nachweislich auf, so dass prozessorientierte Organisationen immer öfter anzutreffen sind. Es mag in einzelnen Branchen Gründe dagegen geben. Meist entpuppen sich diese Begründungen jedoch häufig als recht persönliche Argumentationen einzelner Führungskräfte. Denn mit der Umgestaltung einer Organisation von funktional zu prozessorientiert werden Positionen neu verteilt, entsteht Unruhe bei „Amtsinhabern“, Denk- und Verhaltensweisen müssen verändert werden. Außerdem entsteht eine direktere Verknüpfung zwischen Verantwortung und Resultat. In Prozessketten ist es schwierig, die Verantwortung für einen nicht erfüllten Termin auf die vorgelagerte Stufe zu schieben, denn der Prozessverantwortliche (Prozessowner) hat alle Mittel in der Hand, die Aufgabenerfüllung im eigenen Verantwortungsbereich sicher zu stellen. Es tritt ein sehr interessanter Effekt ein, der letztlich die Aufgabenerfüllung für Führungskräfte vereinfacht:

Verantwortung wird unausweichlich!

In „historisch gewachsenen Organisationen“ werden oft die Prozessabläufe unterbrochen, Doppelarbeit und Verantwortungslücken verursacht, gegenseitige Schuldzuweisungen statt gemeinsamer Problemlösungen provoziert und so ziemlich alle Regeln pragmatischer Logik verletzt. Im Unterschied dazu entstehen bei prozessorientierten Strukturen Verantwortlichkeiten längs der konkreten Prozessketten, zum Beispiel zur Herstellung eines Produktes oder auch zur Entwicklung einer neuen Marketingstrategie. Der für den jeweiligen Gesamtprozess verantwortliche Manager ist verpflichtet, alle im Zusammenhang mit den Leistungsvorgaben für seinen Prozess nötigen Aufgaben zu erfüllen und dazu die erforderlichen Kooperationen herbeizuführen. Er verfügt über alle Kompetenzen, diese auch in die Tat umzusetzen.

Wir alle kennen Beispiele, in denen Mitarbeiter und auch Führungskräfte immer und immer wieder aufgefordert werden, über die Grenzen ihrer Bereiche hinweg zu sehen, ohne dass diese Appelle nachhaltige Wirkungen zeigten. Können sie auch gar nicht, weil der Einzelne per Definition primär auf seine Aufgabe und seinen Bereich verpflichtet ist und erst sekundär auf den Gesamtprozess. Sie werden zuerst immer dann zur Verantwortung gezogen, wenn in ihrer Abteilung irgendetwas nicht in Ordnung ist und nicht dafür, was am Ende der Prozesskette – im Verantwortungsbereich eines anderen Managers – herauskommt. Also ist es viel wirkungsvoller, tatsächlich die Strukturen zu verändern anstatt verbal Verantwortung anzumahnen.

Nun haben wir in jedem Unternehmen eine Vielzahl von Prozessen, die miteinander verknäuelt sind und sich auf die unterschiedlichste Weise gegenseitig beeinflussen. Der entscheidende Schritt für die erfolgreiche Einführung einer prozessorientierten Struktur besteht darin, die sogenannten Kernprozesse zu definieren, zu beschreiben und sie von den Nebenprozessen abzugrenzen. Das Kriterium dieser Priorisierung ist die Wertschöpfung, die mit dem betreffenden Prozess für das Kerngeschäft erreicht wird. Es erfolgt eine auf den ersten Blick rigorose Einteilung in „VALUE“ (direkt wertschöpfend) und „WASTE“. Letzteres meint nicht, dass man auf diese Prozesse verzichten könnte – auch in hochentwickelten Produktionsunternehmen liegt der Waste-Anteil der Arbeitszeit kaum unter 70 % – aber es entsteht eine Priorität. Man kann sich darauf konzentrieren, die nicht wertschöpfenden Prozesse so gering als möglich zu halten. Auch dafür ist Management verantwortlich!

Interessanterweise stellen wir aber immer wieder fest, dass die wenig wertschöpfenden Prozesse, beispielsweise Dokumentation, Statistik oder auch Administration, sich überproportional ausgebreitet haben und oft genug die Kernprozesse regelrecht überwuchern. Aber bei wert-orientierter Betrachtung gehören sie nun einmal zum „WASTE“ und müssen auf das notwendige Minimum zurückgeschnitten werden. Die dazu notwendige Frage lautet ganz einfach: „Was passiert eigentlich, wenn wir diesen Prozess einfach weglassen?“ Bei dieser Fragestellung werden natürlich viele Argumente für die Wichtigkeit und Unverzichtbarkeit des Prozesses vorgebracht, teilweise auch emotional, deren nähere Betrachtung jedoch fast immer lohnend ist. Sie bieten oft Ansatzpunkte, diese WASTE-Prozesse zu reduzieren oder zu optimieren. Das schlichte Weglassen ist nur in äußerst seltenen Fällen möglich.

Wir können uns dem Thema Verantwortung auch aus einer anderen Sicht nähern, die eher an die Verteilung von Verantwortung zwischen verschiedenen Personen anknüpft. Diese führt erstaunlich schnell zu Klärungen, Konfliktlösungen und Verhaltensänderungen. Dieser Ansatz berücksichtigt die differenzierten Funktionen von Verantwortung.

Die Herangehensweise bietet den Vorteil, unterschiedliche Formen von Verantwortung den einzelnen Hierarchiestufen eines Unternehmens zuzuordnen und auf diese Weise im unmittelbaren Erlebnisfeld der Menschen zu verdeutlichen.

Durchführungsverantwortung ist primär auf der Ebene der Mitarbeiter angesiedelt, nämlich die ihnen übertragenen Aufgaben sach- und termingerecht zu erfüllen. Dazu gehört auch, dass sie Kostenbewusstsein und im Rahmen ihrer Aufgaben und Fachkompetenz eigene Ideen und Initiativen entwickeln. Die fachmännische Erledigung einer Arbeit schließt auch deren Optimierung ein. Es ist also durchaus nicht so, dass Durchführungsverantwortung einen geringeren Anspruch an Kreativität, Engagement und Leistungsbereitschaft stellte. Eine derartige Abwertung würde der Bedeutung einer verantwortungsvollen Aufgabenerfüllung überhaupt nicht gerecht werden.

Durch das mittlere Management eines Unternehmens müssen die Bedingungen für Leistungserfüllung, dass heißt also für die erfolgreiche Durchführung der anstehenden Aufgaben, sichergestellt werden. Dies verantwortlich wahrzunehmen, bezeichnen wir als Gestaltungsverantwortung. Zu deren Hauptmerkmalen gehören das Vermitteln der Aufgabenstellung, die Gestaltung der Bedingungen zur Ziel- und Leistungserfüllung, das Einbeziehen der Mitarbeiter in den Gestaltungsprozess und die dazugehörige Qualifizierung von Mitarbeitern. Bei der konkreten Erfüllung dieser Merkmale dürfte es eigentlich nicht vorkommen, dass ein Abteilungsleiter die Nichterledigung eines Auftrages mit ungenügender Zulieferung seitens der im Prozess vorgelagerten Abteilung begründet. Er muss im Rahmen seiner Gestaltungsverantwortung dafür sorgen, dass die Kooperationen funktionieren, die er für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Dieser hohe Anspruch wird in der Praxis nur selten erfüllt, nicht weil die Leute das nicht können, sondern weil dem mittleren Management eine solch umfassende Gestaltungsverantwortung in den Unternehmen meist nicht abgefordert wird.

Beim Geschäftsführer bzw. beim gehobenen Management liegt dagegen vorrangig die Zielverantwortung. Bei der Zieldefinition werden Mitarbeiter einbezogen. Dazu gehört nicht nur, die richtigen Ziele vorzugeben, sondern auch, sie so zu begründen und zu kommunizieren, dass alle Mitarbeiter im Unternehmen sowie die interessierte Öffentlichkeit sie verstehen und nachvollziehen können. Dazu gehört vor allem auch, den Prozess der Ableitung der Ziele richtig und fachmännisch zu führen, sowohl in sachlicher als auch in sozialer Hinsicht. Außerdem muss der Geschäftsführer eine konsequente Umsetzungsverfolgung sicherstellen, denn die Kontrolle der Zielerfüllung gehört zum Zielmanagement (vgl. Script Management by Objectives). Dies alles intelligent und der jeweiligen Situation angepasst vorzunehmen, ist die Verantwortung des gehobenen Managements.

Der Unternehmer schließlich verantwortet Sinngebung und den Zweck des Unternehmens sowie dessen geschäftsstrategische Ausrichtung, bei ihm liegt die unternehmerische Verantwortung. Diese unternehmerische Funktion kann vom Unternehmensgründer, von der Konzernleitung oder vom Aufsichtsrat wahrgenommen oder auch zu bestimmten, definierten Teilen der Geschäftsführung oder dem Unternehmensvorstand übertragen werden. Zu den Hauptinhalten der unternehmerischen Verantwortungsebene gehören das Entwickeln und Kommunizieren von Sinn, Visionen und Leitbildern.

Natürlich gibt es in der Praxis viele Überlagerungen, so dass keiner dieser Verantwortungstypen „lupenrein“ zur Anwendung kommt. Entscheidend ist, dass in der jeweiligen Hierarchieebene das für die konkrete Situation richtige Maß für die Verantwortungsverteilung herrscht.

Analysieren wir die tatsächliche Situation in den meisten Unternehmen hinsichtlich einer solchen geordneten Wahrnehmung von Verantwortung, so müssen wir leider unterschiedliche Feststellungen machen. Zum einen wird Verantwortung oft zu wenig konstruktiv thematisiert. Es besteht zwar ein allgemeines Klagen

über herrschende Verantwortungslosigkeit, kaum jemand widmet sich dem Thema jedoch ernsthaft und mit der nötigen und mitunter auch schmerzhaften Konsequenz. Zum anderen herrscht ein allgemeines Durcheinander bei den verschiedenen Verantwortungsebenen. Abteilungsleiter reden über angeblich falsche Ziele, anstatt sich um die Gestaltung der Leistungsbedingungen zu kümmern, Geschäftsführer rühren in Tagesfragen herum, Mitarbeiter messen Manager daran, ob sie mit dem Schraubenschlüssel umgehen können und so weiter. Niemand kümmert sich hauptsächlich um die ihm zukommende Verantwortlichkeit, sondern jeder zeigt auf den anderen.

Das beschriebene Modell der Verantwortungstypen bietet eine gute Grundlage, derartige Missstände auszuräumen. Nun sollte man nicht glauben, dass dies mit einer einmaligen Intervention erreichbar wäre. Verantwortung ist ein Thema, an dem Führungskräfte ständig arbeiten müssen. Dabei müssen wir zunächst unseren eigenen Verantwortungs-rahmen definieren und versuchen, dem nachzukommen. Wenn wir zum Beispiel Gestaltungsverantwortung ernst nehmen, dann sind Aussagen wie „Geht nicht“ oder „ich konnte nicht, weil …“ nicht erlaubt, weder von uns selbst noch von anderen, die Gestaltungsverantwortung tragen. Wir haben stattdessen die Bedingungen für die Arbeit in unserem Verantwortungsbereich so zu gestalten, dass die Aufgaben erfüllt werden können. Natürlich ist das mitunter schwierig, die Erfahrung lehrt uns jedoch, dass in mehr als 80 % der Fälle mit Hinweis auf äußere Umstände und Bedingungen Verantwortung abgeschoben wird, ohne tatsächlich alle Möglichkeiten ausgereizt zu haben. Das Gleiche gilt für Kooperationen. Es ist Aufgabe von Führungskräften, die zur Aufgabenerfüllung ihres Bereichs erforderlichen Kooperationen herbeizuführen, statt nicht funktionierende Zulieferungen oder nicht vorhandene Informationen als Begründung für nicht erledigte Aufgaben oder nicht erreichte Ziele anzuführen.

Bei genauer Betrachtung können wir alle unserer Verantwortung niemals ausweichen. Wenn wir uns davor drücken, dann haben wir die Konsequenzen dafür zu tragen. Dies ist manchmal sehr sicht- und fühlbar, zum Beispiel wenn wir Kritik für unerfüllte Aufgaben bekommen oder Zuschläge für verfehlte Ziele eben nicht bekommen. Manchmal sind die Konsequenzen auch sehr indirekt, indem wir nicht befördert, bei der Vergabe interessante Aufgaben übergangen oder von Kollegen gemieden werden. Immer schlägt nicht erfüllte Verantwortung zurück.

Unseren Mitarbeitern erweisen wir den größten Dienst damit, dass wir ihnen ihre Verantwortung immer deutlich vor Augen führen, diese einfordern und bei Nichtwahrnehmung die Konsequenzen ziehen. Verantwortung  i s t  ein entscheidender Erfolgsfaktor, vor allemdann, wenn es ans konkrete Arbeiten geht. Deshalb müssen wir ihn gestalten, für uns selbst, für unsere Mitarbeiter, in den Prozessen und in der Organisation. Nach und nach entsteht dann die Verantwortungskultur, die ein Unternehmen für erfolgreiches Arbeiten braucht. Sie ist das unmittelbare Resultat von Führung. Wo sie fehlt, hat Führung versagt.