Wenn Kultur Dezentralisierung verhindert - ein Beispiel aus Japan

In der vergangenen Woche hatte ich Gelegenheit, in Japan ein sogenanntes Satellite Office zu besuchen. Dabei handelt es sich um Außenstellen großer Unternehmen außerhalb der Ballungszentren in Gegenden mit hohem Freizeitwert, die diese aus mehreren Gründen einrichten:

  • Da Japan stark erdbebengefährdet ist, versucht man durch die Auslagerung von Geschäftsbereichen oder Teilen davon den Bestand und die Funktionsfähigkeit des Unternehmens im Ernstfall zu sichern. Business Continuity.
  • Das große demografische Problem – die japanische Gesellschaft ist im Durchschnitt noch älter als die Deutsche – hat den Wettbewerb um die jungen Talente und Leistungsträger angefacht. Diesen versucht man durch interessante und lebenswerte Angebote in lukrativen Gegenden und mit modernen, teils alternativen, auf jeden Fall für junge Leute interessanten Arbeitsbedingungen die Jobs und das eigene Unternehmen schmackhaft zu machen.
  • Der ländliche Raum ist unterbesiedelt und muss mit wertschöpfenden Einheiten befüllt werden, die ihrerseits Wirtschaft nach sich ziehen.

Es gibt also eine große Interessensübereinstimmung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, die beispielsweise dazu führt, dass die Erschließung auch abgelegener Gegenden mit Glasfaserkabeln bereits weit fortgeschritten ist. Gute Bedingungen also für die Ansiedlung von HighTec- und Medienunternehmen bzw. deren Einheiten.

Es gibt aber auch ein großes Problem, welches mit der japanischen Arbeitskultur zu tun hat, wie mir mehrere Gesprächspartner berichteten. Traditionell wird in Japan sehr hierarchisch gearbeitet. Alles ist extrem zentralisiert und die Arbeitsebene ist es nicht gewohnt, selbstständig Entscheidungen zu treffen. Dies stellt sich als ein beträchtliches Hemmnis bei der Einführung dezentraler Arbeits- und Entscheidungsstrukturen dar, die für Satellite Offices Voraussetzung sind. Konkret sieht das zum Beispiel so aus, dass dort vor den Schreibtischen der Mitarbeiter große Bildschirme stehen, über die der Vorgesetzte in Tokyo permanent zugeschaltet ist und seinerseits die Mitarbeiter sieht und kontrolliert. Von einer echten Verlagerung von Arbeit und - vor allem - von Entscheidung kann man also nicht wirklich sprechen. Auf Nachfrage wurde betont, dass die Mitarbeiter mit diesem Arrangement zufrieden sind, der Chef in Tokyo sowieso.

Japanische HR-Spezialisten wissen um diese Problematik und bemühen sich um Qualifizierung der Chefs und Empowerment der Mitarbeiter. Aber sie wissen auch, dass dies noch ein extrem langer Weg sein wird. Nun können wir mit einiger Berechtigung behaupten, dass Deutschland bei der Dezentralisierung von Entscheidungen bereits ein Stück weiter gekommen ist. Aber ausruhen können wir uns auf diesen Lorbeeren wahrlich nicht, wenn wir den Alltag in vielen Unternehmen betrachten. Da gibt es noch eine Menge zu tun und es gilt, alte Zöpfe abzuschneiden. Immer wieder, denn leider wachsen sie ziemlich hartnäckig nach.