Wer führt entscheidet - es geht auch anders!

Wie führt man richtig? Wie trifft man nicht nur die richtigen Entscheidungen, sondern entscheidet auch so, dass alle Beteiligten nicht nur mit der Entscheidung, sondern auch mit ihrer Entstehung zufrieden sind? Entscheidet man autoritär, kooperativ, partizipativ oder wie?

Die beste Antwort auf diese Fragen ist immer noch: Kommt darauf an! Das mutet zwar auf den ersten Blick an, als wolle man sich vor der Antwort drücken, trägt aber der Praxis viel mehr Rechnung, als lehrbuchmäßige und mainstream-korrekte Ausführungen. Nach meinen Erfahrungen – und denen vieler anderer – hat sich ein einfaches, pragmatisches Schema bewährt, sozusagen eine Anleitung zum Denken.

Die einfachste und deshalb vielleicht auch am häufigsten praktizierte Form besteht darin, einfach selbst zu entscheiden. Man besorgt sich die nötigen Informationen oder – was häufiger geschieht – entscheidet aus dem Bauch heraus. Die eigene Erfahrung und der eigene gesunde Menschenverstand sind hier oft der einzige Garant dafür, dass man die richtige Entscheidung trifft. Und da man es sowieso erst hinterher wissen wird, ob die Entscheidung richtig oder falsch war, macht es durchaus Sinn, auf diese Weise vorzugehen. Dieses Entscheidungsmuster ist in zwei Situationen legitim. Erstens, wenn man nur für sich selbst entscheidet, was Führungskräfte allerdings in der Regel nicht tun. Zweitens, wenn sofort, dringend und unmittelbar entschieden werden muss. Schlimm, wenn man als Führungskraft in eine solche Situation kommt. Spricht nicht unbedingt für Weitblick und Souveränität und passiert weit seltener, als behauptet. Schließlich bricht nicht jeden Tag ein Brand aus oder beginnt das Schiff plötzlich zu sinken. Nur in solchen Fällen sind die „einsamen Entscheidungen“, wie ich diese erste Form nenne, unverzichtbar und werden von den Betroffenen akzeptiert. Aber, wie gesagt, das ist eher selten tatsächlich nötig, jedenfalls weit seltener, als diese Form praktiziert wird. Was in diesen Fällen bleibt, ist ein Grummeln bei den Betroffenen, offener Unmut oder Dienst nach Vorschrift.

Die zweite Form ist die „kollektive Entscheidung“. Hier besprechen Sie sich als Führungskraft mit Ihren Mitarbeitern, holen deren Meinungen ein, lassen sich beraten und entscheiden dann nach Lage der Dinge, nach Mehrheit oder bestenfalls im Konsens. Aber Sie entscheiden! Vielleicht haben Ihre Leute das Gefühl, dass sie mitentscheiden. Aber dieses Gefühl täuscht. Die Befragten dürfen die Entscheidung mittragen, aber nicht entscheiden. Vielleicht haben die Mitarbeiter Ihre Entscheidung beeinflusst, aber entschieden haben sie nicht. Sie werden durch die vorherige Einbeziehung in die Entscheidungsfindung gewissermaßen verpflichtet, hinter der Entscheidung zu stehen. Aber mit der Entscheidung selbst haben sie, bei Lichte besehen, nichts zu tun. Die trifft der Chef. Vielen Mitarbeitern ist das übrigens ganz recht, denn dadurch tragen sie auch nicht die Verantwortung. Jedenfalls nicht wirklich, im juristischen Sinne. Nun könnte man meinen, dass kollektive Entscheidungen eine Mogelpackung sind. Es wird so getan, als würden die Leute in die Entscheidung einbezogen, dabei sind sie lediglich in der vorhergehenden Phase, nämlich bei der Entscheidungsfindung, beim Abwägen von Möglichkeiten, Vor- und Nachteilen, aktiv. Beim eigentlichen Entscheidungsakt sind sie außen vor.

In der Tat unterscheidet sich Form 1 und Form 2 nicht grundsätzlich voneinander. Zwar ist der Weg zur Entscheidung verschieden, aber die Entscheidung wird am Ende von dem oder der getroffen, der oder die die Verantwortung trägt. Das ist legitim!

Es gibt allerdings noch eine dritte Form. Ich nenne sie provokant das „Nichtentscheiden“. Sie ist tatsächlich grundsätzlich anders, weil sie von einem anderen Verständnis über den Mechanismus des Entscheidens ausgeht. Danach werden Entscheidungen nicht getroffen, sondern Entscheidungen entstehen. Das ist fundamental anders! Wer das bereits erlebt hat – kommt übrigens öfter vor, als wir glauben, obwohl wir es meist nicht bemerken – kennt das Gefühl. Man diskutiert ein Problem, wendet es hin und her und plötzlich ist ganz klar, was zu tun ist. Eine Entscheidung ist nicht nötig, sie ist bereits da. Sie ist im Prozess der Auseinandersetzung mit dem Problem entstanden. Man braucht sie nicht zu treffen. Es gibt auch keine Abweichler, die man mit einem verbalen oder gar schriftlichen Machtwort – einer Entscheidung – auf Linie bringen müsste. Allen Beteiligten ist klar, dass das behandelte Problem nur auf diese eine Art und Weise angegangen wird.

Es gibt zwei Voraussetzungen, wenn man die Form des Nichtentscheidens zum Entscheiden (ziemlich paradox, nicht wahr) anwenden will. Erstens dürfen nur Personen in der Diskussion beteiligt sein, die ausreichend Sachkenntnis und Bezug zum Problem haben. Zweitens braucht man Zeit für die Diskussion, für den Prozess der Entscheidungsentstehung. Ob die jeweilige Entscheidung dann am Ende die richtige war, weiß man auch hier erst hinterher. Aber zumindest sind alle Beteiligten hier tatsächlich an der Entscheidung selbst, an ihrem Entstehen beteiligt.

Empfehlung: Versuchen Sie in Ihrem Führungsalltag Bedingungen zu schaffen, dass Entscheidungen nach Form 3 entstehen können. Also frühzeitig die Sachkundigen in Diskussion bringen. Meist entstehen dann die Entscheidungen und die Betreffenden sind tatsächlich in die Entscheidung einbezogen, werden sie vehement als ihre eigenen vertreten. Und wenn es doch einmal nicht funktionieren sollte, dann sind Sie ja schon mitten in Form 2, also in der „kollektiven Entscheidung“, sprich in der Entscheidungsfindung. Und dann müssen/könne/dürfen Sie wieder selbst entscheiden.

Je qualifizierter Ihr Führungsteam ist, desto seltener wird das übrigens passieren. Mit der Form des Nichtentscheidens entwickeln Sie Ihr Führungsteam, mehr als mit jeder Teambildungsmaßnahme.