Zeitmanagement 2.0 – Probleme, die wir vor 15 Jahren noch nicht kannten

Der Aufsatz über das Zeitmanagement 2.0 ist in zwei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil wird ein Blick auf die Situation in den Unternehmen geworfen. Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die tägliche Arbeit der Mitarbeiter? Im zweiten Teil werden Vorschläge angeboten, wie die Unternehmen die Situation der ungeregelten Digitalisierung besser in den Griff bekommen. Deshalb der Titel „Zeitmanagement 2.0”. Viele Unternehmen können um 20 Prozent effizienter werden, wenn sie den Umgang mit den Segnungen der Digitalisierung professionalisieren! Unterm Strich haben sich in den Unternehmen Baustellen aufgetan, die erst durch die Digitalisierung entstanden sind. Das soll anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden:

E-Mail-Kommunikation

Zweifellos sind E-Mails heute zu einem unverzichtbaren Bestandteil für die Zusammenarbeit in und zwischen Unternehmen geworden. Die zunehmende Flut an E-Mails ist aber inzwischen einer der meistgenannten Zeitfresser in Zeitmanagement-Seminaren. Die Menschen beklagen sich darüber, dass sie täglich 20, 30, 50 oder bis zu 100 E-Mails bekommen. Sie schaffen es nicht mehr, die E-Mails zu bearbeiten oder finden nicht mehr genug Zeit, ihre eigentliche Arbeit zu erledigen. Es geht inzwischen so weit, dass Mitarbeiter in Unternehmen Angst vor dem Ende ihres Urlaubs haben, weil sie derart viele E-Mails in ihrem Account vorfinden, dass sie tagelang damit blockiert sind. Damit sie das verhindern, arbeiten viele Mitarbeiter ihre E-Mails dann schon mal im Urlaub ab. Oft haben sich leitende Mitarbeiter bereits Zeitfenster in den Abendstunden und am Wochenende eingerichtet, um in Ruhe E-Mails bearbeiten zu können. Das kann alles nicht richtig sein. Das Problem liegt u.a. in der völlig unregulierten Entwicklung des Kommunikationsmittels E-Mail. In der Mitte der 1990-er Jahre begann das Mailen. In kurzer Zeit wurde aus einer innovativen technischen Neuerung ein Standard der Kommunikation. Am Anfang konnten wir auch nur die Vorteile erkennen. Schnell, informativ, zeitlos. Innerhalb der dann folgenden 15 Jahre begann in den Unternehmen quasi eine Revolution der Kommunikation. Das Mailen ersetzte andere Kommunikationskanäle und war darüber hinaus eine zusätzliche Möglichkeit des Kommunizierens.

Digitale Order- und Dateistrukturen

In Unternehmen hat die Ablage von Unterlagen eine lange Tradition und ist oft aus rechtlichen Gründen sogar eine Notwendigkeit. Zu den Unterlagen zählen Rechnungen, Zollerklärungen, Bestellungen usw. Seit etwa einem Jahrzehnt träumt man in den Unternehmen aber von etwas anderem: Dem papierlosen Büro. Beim papierlosen Büro geht es um all das Papier, was im Unternehmen zur Steuerung und zur Information eigens generiert und für den Eigengebrauch benutzt wird. Dabei haben die Verantwortlichen aber etwas ganz anderes aus dem Blick verloren: Denn beim Abbau der Papierunterlagen hat sich eine eigene Parallelwelt entwickelt – die digitale Ablage-Welt. In vielen Unternehmen ist es eine Katastrophe, in welchem Zustand sich die digitalen Ordner- und Dateistrukturen befinden. Die Ablage von Ausarbeitungen jeglicher Art stellt heute weder technisch noch speichermäßig ein Problem da. Jeder Mitarbeiter kann ablegen bzw. abspeichern, was er will und so viel er will. Deshalb hat sich auf den Laufwerken ein wahrer Wildwuchs an unsortierter und unkoordinierter Ablage von Dateien und Ordnern entwickelt. Unterstützt durch beinahe täglich wachsende Speicherkapazitäten, sind der Ablage keine Grenzen mehr gesetzt. In den meisten Fällen gibt es keine abgestimmte Vorgehensweise, wie und wo etwas abgelegt werden muss. Jeder legt nach seinem eigenen Konzept ab, was er ohne Frage für sich selbst gut durchdacht hat. Wenn aber Unterlagen, Belege, Zeichnungen oder Präsentationen gesucht werden, findet sie keiner. Täglich werden gigantische Suchzeiten in Unternehmen aufgewendet, weil Ordner und Dateien im digitalen Nirwana verschwunden sind. Im schlimmsten Fall müssen Unterlagen neu erstellt werden, mit immensem Aufwand.

Kenntnisse in den gängigen Programmen

Ein erfolgreiches Unternehmen ohne eine komplexe Software-Welt ist heute nicht mehr denkbar. Die Steuerung im Unternehmen ist softwarebasiert, die Kommunikation erfolgt mit Softwareunterstützung, Bestellungen kommen über Softwaretools ins Haus und die 3D-Konstruktion des neuen Produktes erfolgt selbstverständlich mit einer Software. Alle diese Lösungen befinden sich heute bereits in der zehnten oder zwanzigsten Entwicklungsstufe. Aber was nützt ein Porsche, wenn man nur im ersten Gang fahren kann? Das ist in der Nutzung der gängigen Softwarelösungen besonders häufig der Fall. Es gibt hervorragende Softwarelösungen von MS Office über SAP bis zu kleineren firmenspezifischen Lösungen. Leider mangelt es oft an der Nutzerkompetenz – in den meisten Fällen werden weniger als zehn Prozent der verfügbaren Funktionen genutzt. Dies gilt auch für Standardsoftware. Das hat gravierende Auswirkungen, da bei weitem nicht so gearbeitet wird, wie es möglich wäre. Die Mitarbeiterin in der Zentrale versendet die Bestellung per Fax, weil sie kein Outlook oder Lotus Notes beherrscht. Die Bestellung geht aufwendig in einem mehrseitigen Brief an den Kunden, weil der Mitarbeiter einen Konfigurator beim Lieferanten nicht bedienen kann. In der Auftragssteuerung führt der Mitarbeiter parallel zum ERP-System eine Excel-Tabelle, da er nicht weiß, dass es die benötigte Funktion auch im ERP-System gibt. Daten werden doppelt oder dreifach erfasst, bearbeitet und ausgewertet.

Zustand der technischen Umgebung

Wer sich einen Porsche gekauft hat, verzichtet ungern auf die dazugehörigen Räder oder gibt sich mit alten Gummischlappen an den Achsen zufrieden. Ich spiele hier auf die technischen Gerätschaften an, die an den Arbeitsplätzen der Sach- und Facharbeiter stehen. Um die mittlerweile sehr komplexen Softwarelösungen nutzen zu können, sind moderne Highspeed-Rechner, leistungsfähige Digi-Cams, 21-Zoll-Flachbildschirme und sichere Speichermedien notwendig. Der Zustand der technischen Umgebung stellt aber in vielen Unternehmen ein Problem dar. Die Digitalisierung verlangt eine hohe Performance an Aktualisierung in technischer und methodischer Vorgehensweise. Die Software erneuert sich im Halbjahresrhythmus, die Hardware wird im Schnitt nach spätestens fünf Jahren ausgetauscht. Das führt zu gravierenden Defiziten bei der realen Nutzung technischer Möglichkeiten. Betrachtet man sich die technische Ausstattung in den Firmen genauer, ist oftmals eine Segmentierung festzustellen. In den IT-Abteilungen ist die Technik oft auf einem sehr ordentlichen Stand. Das liegt meistens daran, dass komplexe Software gar nicht im Unternehmen Einzug halten könnte, wenn nicht wenigsten die IT die Möglichkeiten zur Arbeit damit hätte. Am Ende der Nahrungskette stehen die Produktionsbereiche. Dort findet man heute die abgelegten und aus drei Einzelrechnern zusammengebastelten 12-Zoll-schwarz-weiß-Bildschirme mit Röhrentechnik. So etwas gibt es nicht mehr? Na, dann mal schnell rüber in die Produktion und einen Rundgang gemacht!

Neues Nutzerverhalten der „Wischer- Generation”

Innerhalb weniger Jahre hat sich ein neues Phänomen der digitalen Revolution in den Unternehmen etabliert. Auch hier nehmen wir einen schleichenden Prozess der Entstehung wahr. Das Handy gibt es seit fast 20 Jahren. Seit fünf Jahren gibt es für die breite Masse die Internet- und Fotografierfunktion. Seit wenigen Jahren sind die Mobilphones, Smartphones, iPhones und wie sie inzwischen heißen, aus dem Tagesverlauf nicht mehr wegzudenken. Inzwischen haben alle diese Geräte leistungsfähige Prozessoren und WLAN-Verbindungen, so dass sie das Internet und die damit zusammenhängenden Funktionen beliebig nutzen können. Die Entwicklung dieser Geräte hat ein neues Nutzerverhalten mit sich gebracht. Die Gemütlichkeit ist der Schnelligkeit und der Omnipräsenz gewichen. Jeder ist heute permanent und unkontrollierbar im Dienst. Die technischen Möglichkeiten legen nahe, wie der Dienst auch außerhalb eines festgelegten Rahmens funktionieren kann. Das gleiche gilt übrigens auch für Pausen, Erholungsphasen und sogar Sitzungen. Wann immer die Möglichkeit da ist, erfolgt der Griff zum iPhone und seinen Geschwistern.

Unerwünschte Nebenwirkungen

Neben den schwindenden Erholungsphasen machen sich andere, nicht weniger bedenkliche Erscheinungen bemerkbar: Der Maschinenbediener am Fräszentrum hat in der linken Hand das iPhone, während er rechts programmiert. Es könnte ja eine SMS einlaufen. Die Konzentration ist nicht so, wie sie sein sollte. In der Pause sitzen vier Personen mit Mobilgerät am Tisch und kommunizieren – mit der Außenwelt. Das Pausengespräch untereinander unterbleibt. Im zweiten Teil dieses Aufsatzes möchte ich Ihnen Möglichkeiten aufzeigen, wie mit den skizierten Sachverhalten umzugehen ist. Vorweg: Es gibt keine einfache Patentlösung, die vergleichbar einer Kopfschmerztablette eingeworfen wird und zur umgehenden Heilung führt. Aber es gibt Ideen. Sind Sie inzwischen ein bisschen neugierig geworden?