Die nächste Krise kommt bestimmt – wie wir uns vorbereiten können

Wenn das Ende einer Krise absehbar ist – und wir erleben das aktuell gerade beim Abklingen der Krise infolge der Coronapandemie – konzentrieren sich alle Anstrengungen auf die Gewinnung einer neuen Normalität. Es geht darum, die Leistungen wieder hochzufahren und entstandene Rückstände möglichst schnell und vollständig aufzuholen. Wer das am schnellsten schafft, wird am Ende mit seinem Unternehmen zu den Gewinnern zählen. So die Hoffnung!

In vielen Unternehmen wird auch darüber nachgedacht, wie man die in der Krise gewonnenen Erfahrungen, zum Beispiel mit reduzierter Prozessführung oder bei der Einführung von Homeoffice und anderen Methoden von Remote Working, gewinnbringend in die neue Normalität übertragen kann. Reflektieren und Lernen. Wer das schafft, wird ziemlich sicher gestärkt aus der Krise hervorgehen.

In einigen wenigen Unternehmen – in zu wenigen nach meiner Beobachtung – macht man sich jedoch auch Gedanken darüber, wie man sich auf die nächste Krise vorbereiten kann. Denn eines ist sicher: sie kommt bestimmt! Wir wissen nur nicht, wie sie aussehen wird, aus welcher Richtung sie kommt und wann sie da sein wird. Sollen wir unsere Pandemiepläne überarbeiten? Brauchen wir eine neue Produktpalette, gar ein neues Geschäftsmodell? Müssen wir unsere Innovationen ausdehnen und beschleunigen oder lieber auf Kostensenkungen setzen? Sollen wir die Supply Chain wieder stärker kontrollieren, vielleicht auch die eigene Fertigungstiefe erhöhen und dadurch unsere Kosten steigern? Welche Möglichkeiten bietet uns die Robotik und wäre eine Dezentralisierung der Arbeitsprozesse angebracht? All das sind gute Ideen, die in diesen Unternehmen zur Zeit diskutiert werden. Dabei stehen sie alle vor dem gleichen Dilemma. Niemand kann sicher sein, mit solchen strategischen Maßnahmen richtig zu liegen, denn niemand kann in die Zukunft schauen!

 

Wann muss man sein Unternehmen krisenfest machen?

Wenn man sich ernsthaft mit der Frage beschäftigt, wie man sein Unternehmen krisenfest machen kann, sollte man sich zunächst fragen, wann das zu geschehen hat. Die Antwort ist eigentlich trivial: vor (!) der nächsten Krise. So selbstverständlich dies ist, so wenig wird es beherzigt. Die meisten beginnen erst dann mit Maßnahmen, wenn die ersten Krisenanzeichen bereits unübersehbar sind. Das jedoch ist oft schon zu spät für wirkungsvolles Vorbereiten, sondern eher ein mühsames Gegensteuern. Kaum jemand stellt in Zeiten einigermaßen ruhigen Geschäftsverlaufs sein Unternehmen und alles, was darin läuft, grundsätzlich in Frage. Es ist einfach bequemer, sich mit operativen Themen zu beschäftigen und das Gefühl real existierender Erfolge zu genießen. Aber genau diese Zeitspanne „zwischen den Krisen“ sollte man nutzen, um sich und sein Unternehmen vorzubereiten. Denn wer nicht bereits vorbereitet ist, wird das in der Krise selbst kaum nachholen können. Es wird ihm dann ergehen wie dem Tyrannosaurus Rex vor 65 Millionen Jahren. Er war gerade auf dem Höhepunkt seines Daseins, der Herrscher der Welt und an der Spitze der Nahrungskette, als plötzlich der Meteorit einschlug und alles veränderte. Er war darauf nicht vorbereitet und ging jämmerlich zugrunde. Aber es gab jemanden, der vorbereitet war. Kleine Lebewesen, die unter der Erde vegetierten und immer schon unter schwierigen Bedingungen zurechtkommen mussten. Die heutigen Säugetiere passten zufällig zu den neuen Bedingungen, so dass sie überleben, sich verbreiten und entwickeln konnten.

 

Was muss man tun, um sein Unternehmen krisenfest zu machen?

Es geht auch heute für Unternehmen darum, auf etwas vorbereitet zu sein, das niemand kennt und sicher vorhersagen kann. Und dieses Dilemma kann man nicht durch Maßnahmen auflösen, von denen man hofft, dass es die richtigen für eine zukünftige Situation sind. Das hat ein bisschen etwas von Lotterie an sich. Es geht stattdessen um eine ganz grundsätzlich verbesserte Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit gegenüber allem, was da so auf uns zukommen könnte. Für diese beiden Seiten der gleichen Medaille – flexibel und robust – bürgert sich allmählich der Begriff Changeability ein. Dabei geht es nicht um einzelne Fähigkeiten von Unternehmen, wie zum Beispiel Innovationsfähigkeit oder um Eigenschaften wie Fleiß und Sparsamkeit. Das alles kann zwar hilfreich sein, um zukünftige Krisen zu meistern, aber da wir auch nicht wissen, welche dieser Dinge in welcher Ausprägung dann tatsächlich benötigt werden, muss es bei Changeability um eine grundsätzlichere Ausrichtung des Unternehmens, um seine gesamte Konstitution gehen.

Zur Vorgehensweise habe ich in einer Publikation bereits im Jahre 2010 das Konzept eines Eingriffs in den genetischen Code von Unternehmen vorgeschlagen /1/. Den gibt es natürlich nicht wirklich, aber die Metapher schien mir ausreichend zu verdeutlichen, dass man tatsächlich sehr tiefgreifend und systematisch die Verfasstheit des Unternehmens in Frage stellen und bearbeiten muss. In seiner einfachen Ausprägung geht es bei der Entwicklung von Changeability um Veränderungen auf den Ebenen

  • Prozess
  • Struktur
  • Beziehung/Netzwerk
  • Mensch
  • Kultur

im Unternehmen und seinem unmittelbaren Umfeld. In einer Weiterentwicklung entstand bis 2015 das Hannoveraner Modell, welches diese Ebenen und die darin erforderlichen und möglichen Interventionen ausdifferenziert /2/.

 

Wie kann man vorgehen, um sein Unternehmen krisenfest zu machen?

Am Anfang der Überlegungen stehen systematische Analysen der Widerstandsfähigkeit und der Anpassungsfähigkeit der oben genannten Ebenen. Beide Eigenschaften sind häufig gegenläufig. So sind robuste Organisationen nicht unbedingt flexibel, starke Unternehmenskulturen und Verhaltensmuster ändern sich nicht so leicht. Diese Ist-Zustände können anhand exakter Parameter oder auch Experteneinschätzungen bestimmt und in der Regel auch beziffert werden. Wir haben in der Vergangenheit solche ChangeabilityChecks für Unternehmen und Unternehmensbereiche durchgeführt. Dabei lassen sich durchaus Vergleiche zwischen einzelnen Unternehmen ziehen und interessante Bewertungen vornehmen. 

Bei der Bestimmung eines Soll-Zustands, bei dem also für das jeweilige Unternehmen eine ausreichende Krisenfestigkeit vorliegt, muss deutlich differenziert werden. Abhängig von den konkreten Umständen in Branchen und Märkten, bei den angewandten Technologien und der eingesetzten Technik ist das anzustrebende Optimum, die für unbekannte Zukunftsherausforderungen beste Balance zwischen Robustheit und Flexibilität bei verschiedenen Unternehmen höchst unterschiedlich. Neben unternehmerischer Erfahrung sollten hier die Einschätzungen von Experten und Nichtexperten, von Zulieferern, Kunden und den eigenen Mitarbeitern einbezogen werden.

Um einen Eindruck über das weite Feld der erforderlichen Analysen – und später der Maßnahmen – zu vermitteln, möchte ich hier die genannten Ebenen umreißen:

Die Ebene der Prozesse beinhaltet nicht nur die Wertschöpfungsprozesse innerhalb und außerhalb (Supply Chain) des Unternehmens, sondern ebenso Entscheidungsprozesse, Controlling und Verwaltung, Logistik und Distribution, Informationsprozesse und Innovationen. Bei der Analyse und Bearbeitung der Ebene der Strukturen geht es um Kapital und andere Ressourcen sowie deren Verteilung, um die Aufbauorganisation, Zentralisierung und Dezentralisierung, um Infrastruktur bis hin zur heute so entscheidenden IT-Struktur, um die Kennziffern und Bewertungssysteme und nicht zuletzt um Vorschriften, Standards und Regelungen. In der Ebene der Beziehungen sind Kunden- und Lieferantennetzwerke zu untersuchen, aber ebenso die Verflechtungen und Abhängigkeiten des Unternehmens in regionalen Netzwerken, mit Politik und Medien. Mindestens ebenso bedeutungsvoll sind die internen Beziehungen im Unternehmen innerhalb und zwischen den Hierarchieebenen, in und zwischen Teams und einzelnen Mitarbeitern, das Verhältnis zwischen Generationen und Diversitäten sowie beispielsweise auch die Einflüsse aus Familien und Freizeitgruppierungen. Der Ebene Mensch kommt bei all dem eine besondere Bedeutung zu, schließlich sind es die Menschen, die Mitarbeiter und Führungskräfte, die alle anderen Ebenen gestalten und dafür sorgen, dass das Unternehmen überlebt, oder eben nicht. Neben Fragen der Qualifizierung, Kompetenzverteilung, Kommunikationsverhalten, Zusammenhalt und Teamgeist, Vorbildern, offenen und geheimen Verhaltensmustern, Regeln und Tabus sowie den im Unternehmen und einzelnen Bereichen herrschenden Sprachmustern geht es vor allem um Talentefindung und -förderung sowie um die Weitergabe von Wissen und Erfahrungen. Die Ebene der Kultur umfasst das weite Feld der Werte, den Wertekanon und die Wertedynamik im Unternehmen, die Verankerung von Sinn, Vertrauen, Offenheit und Verantwortung, um Image und Machtausübung, um Ausschluss und Teilhabe an Informationen und Entscheidungen. Es geht um Paradigmen, um Denkmodelle, um Konformität und Kreativität, um den Umgang mit Zeit und Fehlern und um die Denkverbote.

Allein diese Aufzählung macht deutlich, dass es sich bei der Entwicklung von Changeability um eine extrem komplexe Herausforderung handelt. Sie weist zwei herausragende Merkmale auf. Erstens ist sie nicht von einer einzelnen Person zu bewältigen, sondern muss als Aufgabe der gesamten Organisation, zumindest jedoch des Führungsteams angegangen werden. Zweitens ist die Entwicklung von Changeability nichts, was mal so innerhalb von zwei Wochen abgehandelt werden kann. Sie erfordert für die meisten Unternehmen eine weitgehende Transformation und benötigt Zeit. Auf der anderen Seite bedeutet sie nicht, dass ein extremer zusätzlicher Aufwand betrieben werden müsste. Nach der Analyse kann die Umsetzung der nötigen Maßnahmen zur Entwicklung des krisenfesten Unternehmens eingebunden in die sowieso erforderlichen strategischen Maßnahmen und sogar in die operativen Aktivitäten erfolgen. Für Changeability muss man nicht unbedingt mehr arbeiten, sondern anders und vielleicht auch ein bisschen mehr denken.

Abschließend noch ein Hinweis auf eine häufig zu beobachtende Form unternehmerischer Ignoranz. Besonders die in der Vergangenheit und Gegenwart erfolgreichen Unternehmen neigen dazu, sich selbst auf all diesen Ebenen bereits ideal oder zumindest ausreichend für eine wie auch immer geartete Zukunft gerüstet einzuschätzen. Solche Beispiele gibt es selbstverständlich. So passte Zoom perfekt in die neue Arbeitswelt, die durch die Coronapandemie plötzlich aufzog. Trotzdem möchte ich keinem Unternehmen empfehlen, allein auf die Hoffnung zu setzen, man würde schon in die Zukunft passen – hat ja bisher immer geklappt. Das wäre bei den zu erwartenden Disruption leichtfertig hoch gepokert. Stattdessen empfehle ich dringend, sich in den etwas ruhigeren Zeiten mit dem Thema Changeability und seiner Weiterentwicklung zu beschäftigen. Vielleicht kann die hier vorgestellte Systematik dabei hilfreich sein.

 

/1/        Fourier, Stefan: Jenseits vom schnellen Gewinn; Orell Füssli Verlag Zürich, 2010
/2/        Fourie, Stefan: Corporate Change; Edition Humanagement Hannover, 2015