Führung 2.0 ... 3.0 ... 4.0 ...

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat jetzt die Ergebnisse einer Analyse verschiedener Internetforen vorgelegt mit dem Titel „Die Notwendigkeit von Führung in einer digitalisierten Arbeitswelt – eine Netnografie“ (baua: Fokus | doi:10.21934/baua:fokus20180904 | September 2018). Netnografie ist ein Forschungsansatz, der menschliches Sozialverhalten im Internet beobachtet und analysiert. Und dort finden in einschlägigen Foren umfangreiche Diskussionen über die Zukunft von Führung statt. Es äußern sich an diesen Stellen natürlich vor allem Menschen mit einer vergleichsweise hohen Affinität zu den digitalen Medien, also Digital Natives und Digital Workers. Diese Personengruppen sind zweifelsfrei vom Thema betroffen, spüren zuallererst, wenn es damit nicht so richtig läuft und geben somit ein interessantes Abbild der aktuellen Situation. Und sie machen sich Gedanken, wie es besser laufen sollte und wie sie es gerne hätten.

Zunächst weist die Tatsache, dass es im Internet viel Diskussion über Führung in einer digitalen Zukunft gibt, auf ein mehr oder weniger offenes Problemfeld hin – sonst würde ja keiner darüber reden. Das ist auch nicht verwunderlich, denn mit der Digitalisierung schwindet die direkte Einflussmöglichkeit der Führungskräfte auf ihre Mitarbeiter, zum Beispiel durch die Zunahme von Homeoffice und dezentrale Teamarbeit. Zusätzlich wächst der Drang nach Selbstbestimmung bei den gut ausgebildeten jungen Menschen, die das Gros der Beschäftigten in der digitalisierten Arbeitswelt stellen. Traditionelle Führungsgewohnheiten, also etwa die direktive Vorgabe von Arbeitsabläufen und Verhaltensweisen, geraten hier an ihre Grenzen, werden sogar überflüssig.

Die Netnografen haben nun vier Szenarien, Führungstypen, in den Netzdiskussionen ausgemacht:

  1. Digitale Systeme ersetzen Führung
  2. Digitale Systeme ermöglichen Selbststeuerung
  3. Digitale Systeme ergänzen Führung
  4. In digitalen Systemen wird Führung benötigt

Es gibt also im Netz auf der einen Seite Diskutanten, die möchten sich lieber von einem Algorithmus führen lassen, weil der – salopp gesagt – keine Gefühlsausbrüche hat, ihnen „nicht zu nahe kommt“ und sie sich dann fair behandelt fühlen. Andere meinen, dass Führungskräfte zukünftig nicht mehr gebraucht werden, weil die Regeln ja sowieso aus der Kultur und aus Notwendigkeiten kommen, also automatisch. Auf der anderen Seite wird die Meinung vertreten, dass Kontrolle und Bewertung von Arbeitsleistungen zukünftig von Software erledigt werden wird und die Führungskräfte diese Ebene mit Intuition und Menschenversteherwissen verknüpfen sollen. Hieran knüpfen andere Beteiligte an, die von Führungskräften Orientierung und mentalen und emotionalen Halt erwarten.

Ich finde diese Untersuchungen durchaus lesenswert. Wo genau allerdings sich in dem gezeigten Spektrum die Zukunft von Führung verorten wird, kann heute niemand sicher wissen, nur vermuten. Jetzt kann man sich entscheiden, ob man über Vermutungen diskutieren will – ich für meinen Teil mache das gern bei einem schönen Glas Rotwein – oder ob wir unsere Aufmerksamkeit lieber auf die unmittelbar wichtigen Dinge lenken. Und da lerne ich aus den Gesprächen mit vielen direkt Betroffenen in Unternehmen, die nämlich gerade auf dem Wege in die digitalisierte Arbeitswelt sind, dass sie ganz viele Fragen, Ungewissheiten und Ängste haben. Und genau an dieser Stelle ist Führung wichtig. Nicht Führung im Sinne konkreter Vorgaben oder Kontrolle, sondern Führung durch das Vermitteln eines Gefühls von Sicherheit, Gemeinsamkeit, Zuversicht und durch Mutmachen. Und klar, natürlich werden mehr und mehr Managementfunktionen der Planung, Kontrolle und Bewertung durch Algorithmen ersetzt und von Computern durchgeführt werden, aber damit das erfolgreich geschieht, müssen Menschen auf diesem Weg begleitet, unterstützt und geführt werden. Und wenn dann irgendwann Management komplett digitalisiert ist, kommt das nächste Unbekannte und die Menschen brauchen auch dann wieder Führung. Führung in diesem Sinne, als Menschenführung, wird nie überflüssig, eben weil wir Menschen sind. Und je turbulenter die Zeiten, je gefühlt ungewisser die Zukunft, desto wichtiger wird Führung sein.