Führung hat viele Gesichter – welches ist das richtige?

Am 11. Mai hat Miriam Meckel, Professorin für Kommunikationsmanagement in St. Gallen und bekannte Beraterin in Wirtschaft und Politik, im Pioneer-Podcast von Gabor Steingart die These vertreten, dass Führungstypen wieder in autoritäre Muster fallen. Sie führt diese Beobachtung auf die großen Irritationen und Verunsicherungen zurück, denen Menschen in der Folge von Pandemie, Putins Krieg in der Ukraine und Inflation unterliegen. Das fördere und erfordere – so ihre Beobachtung – klareres, autoritäres Führungsverhalten.

Also: Kehren die harten Hunde zurück?

Die Führungslehre von Humanagement fußt auf einem einfachen Grundsatz:

Die Essenz von Führung besteht darin, dass Menschen folgen,

einer Idee, einer Person, einer Vision, einer Partei oder einem Versprechen, beziehungsweise einer Mischung aus all dem.

Um das zu erreichen, kann Führung viele Formen haben, verschiedene Gesichter zeigen. Therese Weichel hat über diese Vielfalt jüngst eine kompakte und aussagefähige Übersicht unter dem Titel „Führung – von klassisch über modern bis evolutionär“ vorgelegt, die Sie sich als Whitepaper hier herunterladen können. Therese Weichel ist Quality Manager der Talk Group und behandelt in dem Aufsatz in knapper Form die unterschiedlichsten Führungsstile, von den traditionellen Ansätzen nach Max Weber und Kurt Lewin über verschiedene moderne Führungsstile bis hin zum Agilen Management. Lesenswert!

Aber zurück zur Frage nach den „harten Hunden“. Nach dem Humanagement-Grundsatz wäre dagegen zunächst nichts einzuwenden, wenn denn die Menschen, die Mitarbeiter in den Unternehmen, solchen autoritären Führungskräften folgten. Aber es gibt große Zweifel daran, dass sie das wirklich tun. Unter den Stichworten „Big Quit“ und „Great Resignation“ wird in den USA - ähnliche Tendenzen beginnen auch in Deutschland - über aktuell um sich greifende Kündigungswellen berichtet, die ganze Branchen in Schwierigkeiten bringen. Studien von PWC und Gallup belegen, dass neben überhöhter Arbeitslast und teilweise als zu gering empfundener Entlohnung vor allem die sogenannten weichen Faktoren defizitär sind. Es geht dabei um mangelnde Wertschätzung durch Vorgesetzte, der als ungenügend empfundene Wert der eigenen Arbeit, schlechtes Arbeitsklima und die Nichtbeachtung von Vorschlägen zur Verbesserung.

Aha, werden Sie jetzt sagen, das sind doch alles altbekannte Themen! Darüber reden wir doch schon seit Jahrzehnten. Da werden Schulungen und Seminare angeboten und besucht, Artikel und Bücher veröffentlicht und gelesen, das Management kennt alle die damit im Zusammenhang stehenden Anforderungen und nimmt seit Jahren für sich in Anspruch, sie im betrieblichen Alltag zu verwirklichen. Was ist da los? Wieso laufen die Leute weg?

Einerseits hängt das sicher damit zusammen, dass die Mitarbeiter in den Unternehmen, wie überall in der Gesellschaft, heute viel stärker für diese Themen sensibilisiert sind als in der Vergangenheit. Sie empfinden Mängel an Wertschätzung und im Umgang miteinander viel eher und tiefer. Dazu kommt, dass heute die Menschen unabhängiger sind, selbstbewusster und schneller bereit, Veränderungen vorzunehmen und aus unangenehmen Situationen zu fliehen. Sie lassen sich von Machtstrukturen nicht mehr so fest binden, wie noch vor einigen Jahren. Sie suchen Alternativen und finden sie. Deshalb glaube ich nicht an den Erfolg der „harten Hunde“. Sie mögen ja kommen, zum Beispiel bei versuchten Rollbacks der flexiblen Arbeitswelten, aber sie werden sich nicht lange halten. Die Leute laufen ihnen weg.

Es geht stattdessen um andere als die autoritären Führungsqualitäten. Es geht um „Führen ohne Macht“, wie ich es in einem Aufsatz im Deutschen Wirtschaftsdienst (Wolters und Kluwer Deutschland, Personal Entwickeln, 254. Erg.-Lfg., Juni 2020, S. 1 bis 18) beschrieben habe. Sie können dieses Nachschlagewerk über diesen Link beziehen. Gern schicke ich Ihnen auch auf Nachfrage einen Sonderdruck als pdf.

Wenn wir als Führungskraft wollen, dass Menschen uns folgen, und zwar freiwillig und nachhaltig, dann ist dazu ein breites Spektrum an Führungsinterventionen nötig, womit wir wieder bei den vielen Gesichtern der Führung wären. Aber egal, welchen Führungsstil wir wählen, es geht immer um Klarheit und Aufrichtigkeit, um Empathie und Verständnis und um Wertschätzung und Teilhabe – kurz gesagt: Es geht um grundlegende menschliche Tugenden, die eine Führungskraft verkörpern muss.

Wie wir bei „Big Quit“ sehen, reicht es jedoch nicht aus, zu wissen, was gute Führung ist. Dieses Wissen ist da, jedenfalls in den meisten Unternehmen. Trotzdem laufen die Leute davon - salopp gesprochen. Es geht nämlich vor allem darum, dass in den Unternehmen Bedingungen geschaffen werden, unter denen man gute Führung und gutes Arbeiten auch tatsächlich leben kann. Das hat mehr mit der Organisation des Unternehmens, seinen Kommunikationsstrukturen und Ritualen zu tun, als mit dem Verhalten einzelner Führungskräfte. Deren Verhalten wird von den Bedingungen im Unternehmen geprägt, behindert oder entfaltet. Und strukturelle Bedingungen können nur von der Unternehmensspitze aus verändert werden. Und diese tut das in vielen Unternehmen nicht, vor allem nicht in Großkonzernen. Sie beschränkt sich stattdessen darauf, Ansprüche an die Führungskräfte zu formulieren, und überlässt sie bei der Umsetzung dann allzu häufig sich selbst.