Konflikte sinnvoll nutzen

Wie kann man Konflikte lösen? Wie kann man Konfliktparteien wieder aufeinander zu bewegen? Das sind die Kernfragen, die alle an Konfliktmanagement Interessierten bewegen. Wir werden diese Fragestellungen erweitern: Wie kann man Konflikte so steuern, dass sie nützlich für die Entwicklung der Beteiligten, des Teams und des Unternehmens sind?

Diese Fragestellung schließt sogar ein, Konflikte gezielt auszulösen, um Entwicklung in Gang zu setzen, zu beschleunigen und zu einem ganz bestimmten Ziel zu bringen. Um so etwas erfolgreich zu machen, muss man sehr viel über Konflikte und deren Management gelernt haben.

Doch bevor wir näher darauf eingehen, lohnt sich ein Blick auf die Frage: Wie werden Konflikte heute oft geregelt?

Erfahrungen zeigen: Der Umgang mit Konflikten wird allzu häufig auf die persönlichen Komponenten beschränkt. Das mag daran liegen, weil Konflikte sich immer zwischen Personen oder Personengruppen ausdrücken. Dabei sind Konflikte immer objektiv verursacht. Selbst dann, wenn zwischen zwei Personen „die Chemie“ nicht stimmt. Auch in einem solchen Fall gibt es für die herrschende und in der Auseinandersetzung dominierende Abneigung Gründe, die entweder in konkret fassbaren Fakten der gemeinsamen „Geschichte“ beruhen oder in objektiv nachvollziehbaren Sozialisationsbedingungen wurzeln.

Die Konzentration auf Persönliches hat jedoch einen Haken! Sie verführt zu der Annahme, Konflikte könnten durch das Einwirken auf die beteiligten Personen erfolgreich gelöst werden. Jedoch führen Appelle an die Einsicht und an das Wohlverhalten der Konfliktparteien fast ausschließlich zu (faulen) Kompromissen. Deren Kennzeichen sind:

  • sie sichern allen Betroffenen einen einigermaßen akzeptablen „Überlebensraum“
  • jeder richtet sich irgendwie ein und arrangiert sich mit der Situation und seinem Kontrahenten
  •  man findet den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Aber solche Kompromisse sind keine Lösungen. Müssen diese Nischen durch die Umstände konkreter Situationen verlassen werden, ist meist der ur-sprüngliche Konflikt wieder da.

Um hier erfolgreich zu sein ist – salopp ausgedrückt - eines wichtig: Wir müssen vom „DU bist das Problem!“ zu einem „Was ist das Problem?“ kommen. Dazu sollten wir als erstes wissen, was ein Konflikt eigentlich ist, welche Typen es gibt und aus welchen Potenzialen sie kommen.

Ein Konflikt ist der Kampf zwischen unterschiedlichen Interessen.

Ob wir es wollen oder nicht: Konflikte lassen sich nicht vermeiden. Sie gehören zu unserem Leben wie der Sand zur Wüste. Die Welt ist voll von Konflikten.

Begründungen für die Unvermeidbarkeit von Konflikten sind:

  • Menschen und Gruppen haben unterschiedliche Interessen und wollen/müssen diese durchsetzen.
  • Menschen und Gruppen haben immer einen unterschiedlichen Informationsstand. Deshalb sind Missverständnisse vorprogrammiert.
  • Objektive Lagebeurteilungen sind nicht möglich, so dass Spekulationen dominieren, die wiederum zu divergierenden Ansichten führen.

Vielfach werden Konflikte als unerwünschte, weil den normalen Ablauf störende, Erscheinungen eingestuft. Konflikte schaffen Probleme. Die Energie aller Beteiligten geht nicht in die Arbeit, sondern darum, im Konflikt zu obsiegen oder in Abwehrstrategien. Auch Unbeteiligte widmen dem Konflikt und den Konfliktparteien eine Menge Aufmerksamkeit. Das alles führt zu Unproduktivität und reduziert die Leistungsfähigkeit eines Teams oder gar des ganzen Unternehmens. Konflikte mit Kunden kosten Aufträge, Konflikte mit Wettbewerbern kosten Geld. Unter diesen Aspekten, und die Reihe ließe sich fortsetzen, folgt: Konflikte sind Unglück.

Da wir weiter vorn festgestellt haben, dass Konflikte unvermeidbar sind, könnte man an dieser Stelle in großes Jammern ausbrechen und der Versuchung erliegen, Konflikte zu vermeiden, zu verdrängen, schön zu reden und was sonst noch alles getan wird. In vielen Unternehmen geschieht genau das, aber dadurch wird man die Konflikte nicht los.

Man kann sich Konflikte aber auch durch eine andere Brille ansehen:

  • Konflikte provozieren Handlung!
  • Durch Konflikte entsteht Entwicklung!
  • Konflikte sind Motoren des Fortschritts!

Jeder kann Beispiele für die Richtigkeit dieser Aussagen finden. Dies führt unmittelbar zu einer anderen Aussage: Konflikte sind Chancen!

Wenn wir also Konflikte nicht vermeiden können, kann es für Führungskräfte nur darum gehen, Konflikte produktiv zu machen. Damit wird Konfliktbewältigung alter Schule, nämlich das Finden von Kompromissen, bestenfalls zu einer Zwischenstation. Man braucht manchmal den Kompromiss zwischen Streithähnen, um überhaupt arbeitsfähig zu werden. Aber dann muss man schleunigst einen Konsens herbeiführen darüber, was als nächstes getan wird. Nur durch Handlungen erreichen wir Veränderungen, nur durch gemeinsame Handlungen können wir das Unternehmen weiter entwickeln. Das untere Bild zeigt die beiden Möglichkeiten: Auf der einen Seite den Weg in den Kompromiss, der Entwicklung bremst, und auf der anderen Seite den Weg in den Konsens für Arbeit, der die in einem Konflikt steckenden Potenziale ausnutzt und dadurch Entwicklung ermöglicht. Die Entscheidung darüber, welchen Weg man im Einzelfall als Führungskraft gehen will, ist we-niger eine Frage der Methodik von Konfliktmanagement, sondern des eigenen Willens zur Lösung.

Meist ist es einfacher, einen Kompromiss zu erreichen, anstatt den schwierigeren und anspruchsvolleren Weg der Weiterentwicklung des Systems zu gehen. Aber Führungskräfte sind nicht dazu da, die leichtere Lösung zu wählen, sondern Führung bedeutet eben oft genau das Gegenteil. Wir sind in der Verantwortung für die Entwicklung der Leistungsfähigkeit unserer Mitarbeiter, unserer Abteilung und der ganzen Firma. Und deshalb ist es unser Auftrag, den Konsens für Arbeit herbei zu führen.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir die Potenziale, die ein Konflikt uns für das Vorankommen, für die Entwicklung neuer Perspektiven und Lösungen bietet, erkennen und ausschöpfen. Da Konflikte immer zwischen Personen und Gruppen ausgetragen werden, benötigen wir zum Umgang mit ihnen und für die Erschließung ihrer Potenziale spezielles Wissen über ihre Entstehung, Austragung und die Ansatzpunkte, von denen aus wir sie produktiv machen können. Es geht dabei um zwei große Bereiche:

  • Rollen und die darin enthaltenen Konfliktpotenziale
  • Gruppendynamik und deren Ursachen

In beiden Fällen interessieren uns dabei hauptsächlich die praktischen Nutzungsmöglichkeiten, um unsere Ziele als Führungskraft zu erreichen.

Zum Thema Rollen sind grundlegende Ausführungen im Whitepaper„Die Rolle der Führungskraft“ gemacht. Hier wollen wir lediglich auf Rollen im Zusammenhang mit Konfliktmanagement eingehen.

Konflikte entstehen, wenn eine Person ihrer Rolle nicht gerecht wird oder ihr nicht gerecht werden kann, beispielsweise wenn eine Führungskraft Führen mit „selbstherrlichem“ Handeln verwechselt, ein Außendienstmitarbeiter sich mit den Kunden und nicht mit seiner Firma identifiziert, oder wenn Vorgesetzte und Mitarbeiter mit den fachlichen Anforderungen nicht Schritt halten. In allen diesen Fällen funktionieren die betreffenden Personen in ihren Rollen nicht richtig, sie erfüllen die Rollenerwartungen nicht. Die Rollenerwartungen an Vorgesetzte und Mitarbeiter sind in aller Regel formal festgelegt und umfassen fachliche, methodische und Verhaltensmerkmale. Die Sachkompetenz (Ausbildung, Berufserfahrung, Weiterbildung) sind hauptsächlich in den so genannten funktionalen Rollen von Bedeutung, während soziale Kompetenzen und Führungserfahrungen für die hierarchischen Rollen wichtig sind. Konflikte treten auf, wenn Funktionsträ-ger (Marketingspezialisten, Außendienstler, Sachbear-beiter, Teamassistenten usw.) den gestellten Sachanforderungen nicht genügen, wenn Positionsinhaber (Head, General Manager, Vice President) unzureichend führen.

Nun gibt es neben den funktionalen und hierarchischen auch noch die sogenannten informellen Rollen, die jeder von uns in Gruppen einnimmt, ohne dass er sich darüber immer im Klaren ist. Wir unterscheiden die informellen Rollen (auch archetypischen Rollen genannt) Führer, Macher, Mitmacher und Opponent.

Das Bild zeigt die wichtigsten Gegenpole in Gruppen. Für die Praxis ist davon besonders die Konfliktkonstellation zwischen Macher und Opponent von Bedeutung. Darin liegt Potenzial für Wettbewerb, welcher bei guter Gestaltung positiv für die Gruppe wirkt, andernfalls leicht Ressourcen vergeudet.

Mit diesem Modell können wir schnell erkennen, dass konkurrierendes Verhalten zwischen Personen oder Grüppchen im Team meist Ausdruck für einen „natürlichen“ Rollenkonflikt zwischen einzelnen Machern oder zwischen Macher und Opponent ist. Oft wird die Übernahme von Verantwortung durch kompetente Mitarbeiter durch einen Vorgesetzten verhindert, der nicht als Führer, sondern als Macher agiert und so seine fähigsten Mitarbeiter zur Passivität bringt. Diese Leistungsverweigerung fähiger Mitarbeiter ist nicht durch deren ungenügende Motivation begründet, sondern im Gegenteil. Die mangelnde Motivation ist Resultat des Abdrängens dieser Mitarbeiter aus funktionalen Rollen durch die verantwortliche Führungskraft selbst.

Es gibt jedoch einen wesentlich bedeutenderen Konfliktherd im Zusammenhang mit dem Thema Rollen, nämlich den zwischen den informellen Anforderungen an funktionale und hierarchische Rollen einerseits und deren Erfüllung durch die Funktions- bzw. Positionsinhaber andererseits. Es gibt auf Dauer kaum etwas Konfliktträchtigeres als einen in Details verliebten Abteilungsleiter, der seinen Mitarbeitern ständig in alle Kleinigkeiten hineinredet, alles lieber selbst macht als zu delegieren, vielleicht dazu auch noch wenig redet und kaum ein persönliches Wort für die Sorgen und Nöte seiner Leute findet. Er erfüllt seine Führungsrolle nicht, obwohl die Gruppe diese für ihr Funktionieren dringend braucht. Vielleicht wird dieser informelle Teil dann von seiner Sekretärin übernommen, was vielleicht sogar noch die beste Variante ist. Besonders kritisch wird es aber für alle Beteiligten, wenn ein fachlich fähiger Mitarbeiter, der eigentlich für die Details da wäre, die informelle Führerschaft übernimmt, alle Mitarbeiter hinter sich bringt, die Stimmung in der Gruppe dominiert und so als Opponent des Führers auftritt. Die Leistungsfähigkeit einer solchen Gruppe nimmt rapide ab, wie leider unzählige Beispiele belegen. Eine wirklich fähige und kluge Führungskraft beschäftigt sich permanent mit dieser Rollenthematik. Im Falle von Problemen gibt es verschiedene Interventionsmöglichkeiten, mit denen die Gruppe und auch der einzelne Mitarbeiter in ihrer/seiner Entwicklung voran gebracht werden kann. Möglichkeiten zeigt die Grafik unten.

An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, dass Rollenkonflikte auch inszeniert werden können, um eine Gruppe oder einen Bereich voran zu bringen. So kann man durchaus die Konkurrenzen zwischen verschiedenen Machern hervor locken, um sie als Ansporn für hohe Leistungen zu nutzen. Besonders in hoch innovativen Gruppen sind solche Strategien im Einsatz. Es erfordert jedoch Einiges an Erfahrung im Führungsprozess, um ein solches Vorgehen gefahrlos und für alle Beteiligten Gewinn bringend zu gestalten.

Unter dem Begriff Gruppendynamik subsummiert man diejenigen Prozesse, die in Teams sozusagen unbewusst, ohne sichtbaren äußeren Anstoß ablaufen und sich deshalb häufig direkter Kontrolle entziehen. Sie haben eine herausragende Bedeutung beim Entstehen und Austragen von Konflikten. Eine wichtige Grundlage von Gruppendynamik ist das sogenannte Konformitätsprinzip, welches seiner Bedeutung für Konfliktmanagement wegen hier erläutert werden soll.

Auf äußerst subtile Weise laufen in Teams Prozesse ab, welche die Konformität der verschiedenen Mitglieder mit den von der Gruppe gesetzten Standards überprüft. Diese sind meist weder festgeschrieben noch mündlich vereinbart, sondern im Bewusstsein der Gruppe verankert. Sie bilden große Teile der Kultur einer Gruppe, eines Unternehmens. Wer diese „Geheimen Regeln“ befolgt, ist in Ordnung. Wer dage-gen verstößt – und dazu gehört auch deutlich besser oder schlechter zu sein als der geduldete Durchschnitt, mehr oder weniger, länger oder kürzer zu arbeiten oder Tabuthemen anzusprechen – wird vom System attackiert. Das heißt: Es wird Druck ausgeübt! Haben diese korrigierenden Reaktionen der Gruppe keinen Erfolg, werden die Betroffenen an den Rand gedrängt, im Extremfall aus dem Verband ausgestoßen. Die Abwehrmechanismen gegen „Outlaws“ sind äußerst vielschichtig und reichen von ironischen Bemerkungen bis hin zu Mobbing.

Für Konfliktmanagement ist deshalb folgendes wichtig:

  • Dies sind soziale Phänomene, die immer ablaufen, ob wir das wollen oder nicht, ob wir es bemerken oder nicht. Wir sollten sie also nicht bewerten, sondern immer mit ihnen rechnen.
  • Vorteil: Hohe Geschlossenheit nach außen, geringe Reibungsverluste in der Gruppe. „Man weiß, was möglich ist und was nicht“.
  • Nachteil: Wenig individuelle Entfaltungsmöglich-keit, wenig Freiheit, geringe Komplexität. Gerade kreative Menschen – die jedes Unternehmen heute braucht – bestehen den Konformitätstest oft nicht.
  • Wächst der Leistungsdruck auf die Gruppe, dann wächst der Konformitätsdruck auf die Mitglieder.

Was kann eine Führungskraft tun, um auch dieses Konformitätsprinzip für die Entwicklung der Gruppe zu nutzen. Das Bild zeigt zwei Ansatzpunkte, nämlich den Druck, der auf die Gruppe ausgeübt wird und den Maßstab des Systems. Beides kann von der Führungskraft beeinflusst werden:

  • Anforderungsdruck steuern durch Zielsetzungen und Anforderungen in Qualität und Quantität, Ressourcenbereitstellung oder -entzug
  • Werte vorgeben und kommunizieren
  • Regeln setzen und Vorbild sein

Es gibt also eine ganze Reihe von Mechanismen, die man für einen sinnvollen und vor allem Gewinn bringenden Umgang mit Konflikten nutzen kann. Die Führungskraft muss jedoch zwei entscheidende Erkenntnisse gewonnen haben:

  • Konflikte sind nützlich!
  • Es gehört zur Rolle einer Führungskraft, Konflikte sinnvoll zu nutzen.