Mit der Vergangenheit in die Zukunft – ein Essay zum Neujahr

Kürzlich habe ich in einen Vortrag von Paul Watzlawick hineingehört, den er 1987 in einem evangelischen Bildungszentrum in Stuttgart gehalten hat. Er geht dort davon aus, dass viele der Probleme, die wir heute beklagen, bereits in der Vergangenheit so oder ganz ähnlich existierten. Sie wurden nicht wirklich gelöst, aber immer überwunden, zumindest für den Moment. Kriege und ihre Auswirkungen, Wirtschaftskrisen, Ressourcenverknappung, Krankheiten und Pandemien, technologische Umbrüche, egal wie erschütternd sie waren und wie tiefgreifend ihre Folgen für die Betroffenen, es gab immer Lösungen, es ging danach immer weiter, wurde besser.

Das wirft die Frage auf, was wir aus der Vergangenheit für unser gegenwärtiges Handeln und damit für die Sicherung unserer Zukunft lernen können. Die einfache Sicht auf diese Frage wäre, die früheren Lösungen heranzuziehen und sie auf die heutigen Probleme, die ja oft im Prinzip die gleichen wie früher sind, anzuwenden. Aber Vorsicht! Wenn man das macht, besteht die Gefahr, dass die Lösung zum Problem wird, wie Watzlawick es nennt. Es ist nämlich so, dass das alte Problem sich uns meist unter veränderten, neuen Bedingungen stellt. Und dann funktioniert die alte Lösung eben nicht mehr.

Wie also kann uns die in der Vergangenheit gemachte Erfahrung in der Gegenwart und für die Zukunft nutzen? Die Erfahrung in ihrem Rohzustand, also als „Erzählung“ vergangener Ereignisse, wird uns unter veränderten Bedingungen nicht helfen, möglicherweise sogar schaden. Erfahrung wird erst produktiv, wenn sie reflektiert ist, wenn sie uns hilft, die Prinzipien und Mechanismen, die Problemen und Lösungen zugrunde liegen, zu erkennen. Also nicht ein Mehr vom Alten, sondern eine neue Qualität des Alten.

Ein Beispiel: Wenn es früher, etwa in den letzten Dekaden des vorigen Jahrhunderts, möglich war, Menschen überwiegend durch Aussicht auf mehr Geld zu motivieren, so funktioniert das heute nur noch eingeschränkt. Wenn man jedoch verstanden (reflektiert) hat, dass Menschen ihren Bedürfnissen folgen, die damals sich eher auf Geld fokussierten und heute stärker auf immaterielle Werte, wie Selbstbestimmtheit und spannende Herausforderungen, dann ist man in der Lage, auch die Generation X, Y, Z oder wie sie gerade heißt, zu motivieren. So kann reflektierte Erfahrung zu intelligenten und funktionierenden Lösungen führen.

Unreflektiert bleibt Erfahrung in der Vergangenheit verhaftet. Durch Reflexion wird Erfahrung zeitlos. So spannt sie die Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Erfahrung wirkt nicht aus Büchern, sondern vermittelt sich durch persönliche Interaktion. Idealerweise sind daran zwei verschiedene Akteure beteiligt. Einmal die Person aus der Vergangenheit mit der reflektierten (!) Erfahrung, und zum anderen der Akteur der Gegenwart, den das Problem drückt und der das vitale Lösungsinteresse hat. Beide zusammen werden den Erfolg für die Zukunft sichern.