Projektmanagement hat zwei Gesichter

Jedes Unternehmen arbeitet ständig an seinen Businessprozessen. Unter dem Veränderungsdruck der Globalisierung werden überall größere Anstrengungen dafür unternommen. Schaut man sich das Spektrum der damit beschäftigten Projekte an, so reicht es von der Optimierung vorhandener Businessprozesse bis zur Schaffung neuer.

Mit den Unterschieden dieser beiden Projekttypen, den Optimierungsprojekten einerseits und den Erneuerungsprojekten andererseits, habe ich mich in den zurückliegenden Jahren immer wieder beschäftigt. Bei der Erarbeitung meines neuen Buchs (Jenseits des schnellen Gewinns, Orell Füssli September 2010) bin ich wieder auf diese Problematik gestoßen und möchte meine Überlegungen hier kurz wiedergeben.

Bei den Optimierungsprojekten stehen Themen der Kostensenkung, der Verbesserung der Prozessqualität und Ausbeute sowie der Arbeitsorganisation und Arbeitsplatzgestaltung im Mittelpunkt. Es geht um Optimierung und Standardisierung, um Prozessbeschleunigung und -vereinfachung, um die Einführung und Verbesserung von EDV-Systemen und die Anwendung neuer Arbeits- und Problemlösungsmethoden. In vielen Unternehmen, allen voran denen der Autoindustrie, laufen permanent umfangreiche Programme, um die Optimierung immer schneller voranzutreiben. Es geht dabei um sehr viel Geld, welches in den Herstellkosten steckt und freigesetzt werden muss. Der internationale Wettbewerb ist hart und verlangt auf diesen Gebieten große Anstrengungen. So laufen allerorten Initiativen wie Continuous Improvement, Kaizen, SixSigma oder KVP.

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Projekte, deren Fokus auf Erneuerung liegt. Bei ihnen geht es um neue Produkte und neue Technologien, aber auch um neue Geschäftsmodelle, neue Marketingstrategien, neue Organisationsformen und die Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen. Auch die Entwicklung des klassischen Informationsmanagements zu Wissensorganisationen auf Basis sozialer Netzwerke gehört in diese Kategorie. Das besondere Merkmal der Erneuerungsprojekte gegenüber den Optimierungsprojekten besteht darin, dass mit ihnen Neuland beschritten wird. Allein das ist ein eklatanter Komplexitätstreiber. Sie verlangen einen hohen Anteil schöpferischer Leistung, können nur selten Vorbildern folgen und haben allein deshalb oft eine geringere Erfolgsquote. Zum Beispiel können von den echten Produkt-Neuentwicklungen einer Branche nur etwa zehn Prozent der im Forschungsstadium Gestarteten tatsächlich die Zielstellungen erreichen. Über die vielen Verlustquellen bei Launchprojekten, dem Endstadium von Innovationsprozessen, habe ich im letzten Infobrief geschrieben. Aber auch von den sogenannten Changeprojekten (Reorganisationen, Post Merger Integration usw.) erfüllen höchsten 20 Prozent die in sie gesetzten Erwartungen.

Erneuerungsprojekte bewegen sich also in einem weitgehend unbekannten Raum. Sie sind mit einer relativ hohen Unbestimmtheit bezüglich des Erfolgs ihrer Bemühungen konfrontiert. Die Spezialisierung der beteiligten Mitarbeiter ist ungleich größer, und damit auch deren Individualität und die Unterschiedlichkeit ihrer Interessenlagen. Dadurch steigt der erforderliche Koordinierungs- und Kommunikationsaufwand enorm an. Vielfältige Kooperationen und Planungsunsicherheiten erzeugen instabile Situationen und Abhängigkeiten. Versuch und Irrtum werden zur dominierenden Vorgehensweise. Mit einem Wort: Die Komplexität der Erneuerungsprojekte ist in der Regel weit höher, als die der Optimierungsprojekte. Das Bild zeigt den Komplexitätskorridor, in dem sich die einzelnen Projekte konkret ansiedeln können.

 

Die „Grüne Linie“ in der Bildmitte symbolisiert das Maß an Komplexität, unterhalb dessen die Projekte meist von den einbezogenen Fachleuten selbstständig gemanagt werden können. Meist übernimmt der führende Fachmann die Projektleitung und koordiniert erfolgreich alle notwendigen Aktivitäten von der Planung bis zur Projektfertigstellung. Das funktioniert deshalb, weil zur Organisation dieser weniger komplexen Projekte die in den Unternehmen, mitunter verstärkt durch externe Spezialisten, vorhandene

SACHKOMPETENZ

ausreichend ist. Bei der Bearbeitung dieser Projekte stehen Fachwissen, Methoden-Know-how und – selbstverständlich – soziale Kompetenz im Mittelpunkt. Mit einigem Organisationstalent gelingt es dem Projektleiter, hier erfolgreich zu sein. Verstärkung durch externe Berater ist hier nur zweckmäßig, wenn diese über besondere Fachexpertise verfügen, die im Unternehmen nicht ausreichend vorhanden ist.

Es gibt jedoch auch bereits bei den Optimierungsprojekten mitunter Situationen, z.B. wenn sehr viele Menschen eingebunden sind, wenn sich CIM-Projekte über verschiedene Bereiche erstrecken, Zeitdruck besteht oder die Verhaltensanforderungen an die Mitarbeiter zu stark vom bisher Gewohnten abweichen, in denen die Komplexität die „Grüne Linie“ übersteigt. Hier, und erst recht bei den allermeisten Erneuerungsprojekten, wird eine andere Art von Kompetenz benötigt:

SYSTEMKOMPETENZ

Dabei gewinnen Steuerung, Inszenierung und systemisches Denken und Vorgehen eine entscheidende Bedeutung. Man braucht zusätzlich zu den Fachspezialisten und methodisch Erfahrenen Spezialisten für Komplexität. Salopp ausgedrückt sind das regelrechte Chaosexperten (nicht Chaoten!). Diese stehen in der Regel heutzutage noch recht wenig zur Verfügung, einer der Gründe für die oft unbefriedigende Leistungsbilanz komplexer Projekte. Wie man hier Abhilfe schaffen kann, ist unter anderem auch in meinem neuen Buch nachzulesen.