Wahlen – ein Duell und das Kreuz mit dem Kreuz!

Wahlen sind das Merkmal einer Demokratie. Hier entscheidet der Souverän, nämlich das Volk, darüber, wer in den nächsten Jahren regiert und die Geschicke des Landes bestimmt. Einer Wahl voraus geht ein Wahlkampf. Der Wahlkampf der Bundestagswahl 2009 fand seinen (vorläufigen?) Höhepunkt im Kandidatenduell am vergangenen Sonntag. Fast ganz Deutschland wartete darauf, dass sich Merkel und Steinmeier gegenübertreten und mit der Kraft ihrer Argumente uns allen ihre unterschiedlichen Positionen über die Zukunftssicherung Deutschlands klarmachen und die Entscheidung über das Kreuz am Wahlsonntag ermöglichen würden. Aber durch das Duell wurde es noch schwieriger, vielleicht sogar unmöglich, eine vernünftige Wahlhandlung vorzunehmen.

Bevor ich darauf eingehe, möchte ich zunächst noch einige Beobachtungen zur handwerklichen Seite dieses Duells wiedergeben. Ich glaube nämlich, dass daraus alle diejenigen, die Meetings organisieren, Verhandlungen führen, Gruppensitzungen und Workshops moderieren eine Menge für ihre eigene Arbeit ableiten können.

Die Konstellation:
Sie ist für das Gelingen eines solchen Duells bzw. einer solchen TV-Sendung entscheidend. Durch die gewählte Konstellation (Platzierung der Teilnehmer) entstand zwangsläufig eine Opposition zwischen den Journalisten und den Kandidaten. Die Journalisten standen auf der einen Seite, die Kandidaten auf der anderen. Dazwischen verlief die Frontlinie, die im Verlaufe des Duells immer dominanter wurde. Dazu kam das Vier gegen Zwei als ein weiteres konstellatives Merkmal. Allein durch diese beiden Bedingungen (Anzahl der Teilnehmer und räumliche Anordnung) wurden die Kandidaten in die Einigkeit gepresst. Es wird dadurch schwierig, in der Diskussion die, zwar geringen aber durchaus vorhandenen, Unterschiede in den Positionen der beiden herauszuarbeiten, denn selbst so erfahrene Leute wir Merkel und Steinmeier können sich nicht der Macht der Konstellation entziehen.

Fazit: Achten Sie bei der Vorbereitung von Veranstaltungen auf diese (und andere) konstellativen Determinanten. Je nachdem, wie Sie diese einrichten, können Sie damit das Ergebnis maßgeblich beeinflussen.

Die Journalisten:
Sie befanden sich in einer Doppelrolle. Auf der einen Seite sollten sie mit ihren Fragen die Zuschauer, also das deutsche Wahlvolk, vertreten und die für die Zukunft Deutschlands wichtigen Fragen stellen. Da hatten sie also quasi eine Sachaufgabe zu lösen. Andererseits sollten sie natürlich auch den Gesprächsverlauf steuern, moderieren. Das ist eine Prozessaufgabe, die Übersicht und Neutralität in der Sache ermöglicht. Beide Rollenaspekte haben die vier nicht erfüllt, wie jeder sehen konnte. Gut die Hälfte der Fragen war Boulevard, wie etwa die nach dem Abendessen der Kanzlerin mit Herrn Ackermann. Das gehört einfach nicht in eine so wichtige Sendung. Es gab dagegen keine Fragen, welche die visionäre Kraft der Kandidaten herausgefordert hätten, z. B. nach der ethisch-moralischen Verfassung unserer Gesellschaft oder nach den großen Innovations- und Wirtschaftsperspektiven, die Deutschland in die Zukunft katapultieren könnten. Auf der Prozessebene, also bei der Moderation, wurde z. B. die Chance verspielt, durch gezieltes Nachfassen in der Steuerfrage wenigstens Klarheit über diesen Punkt zu erlangen.

Fazit: Wenn Moderatoren ihre eigenen Ziele verfolgen – jeder von den vier wollte nämlich „zum Schuss“ kommen und durch einen solchen Triumph die anderen ausstechen – dann muss die Moderation schiefgehen. Moderatoren müssen neutral sein, nur dann können sie Sach- und Prozessebene sauber trennen.

Nun noch einige Gedanken zur Auswirkung des Duells auf das Wahlverhalten. Der erste Gedanke nach diesem Duell war bei den meisten (bei mir auch): Meine Güte, was soll ich denn da wählen? Die sind sich doch beide so etwas von ähnlich. Abweichungen gab und gibt es höchstens in einigen Verfahrensfragen und bei Nebensachen. Das ist eigentlich auch logisch, denn wer regiert, hat in Wirklichkeit nicht so viele Handlungsoptionen, wie die politische Opposition und die Medien uns weismachen wollen.

Außerdem haben Merkel und Steinmeier mit ihren Mannschaften in den letzten Jahren eigentlich einen ganz guten Job gemacht. Natürlich, nicht alles war immer richtig. Aber das ist doch normal. Das Regierungsgeschäft ist hochkomplex, da passieren auch Fehler. Und wenn ich mir jetzt vorstelle, dass der Vorstand eines Unternehmens zufriedenstellend arbeitet, dann wird er doch auch nicht abgelöst. Jeder Eigentümer (Souverän) ist doch froh, wenn die Dinge positiv laufen. Wenn das eine oder andere zu beanstanden ist, kann man sich dazu auseinandersetzen. Das passiert ja auch gegenüber der Regierung, parlamentarisch und in der Öffentlichkeit.

Warum also müssen wir eigentlich eine andere Regierung wählen? Sie wird ja vermutlich tatsächlich anders, denn die Große Koalition steht nicht als Option auf dem Wahlzettel. Es wäre schon ein ziemlicher Zufall, wenn das Wahlergebnis wieder zur Großen Koalition führen würde. Und auch dann hätten wir es vermutlich mit einer anderen Mannschaft zu tun. Aber regiert wird von Personen, und die kann man nach unserem Wahlsystem nicht wählen. In Unternehmen wird die Führungsverantwortung konkreten Personen anvertraut, und das ist ein erfolgreiches Modell. Bei der Führung des Staates kommen Parteien ans Ruder und der Wähler muss es ihnen überlassen, wer dann konkret regiert.

Ich würde am liebsten mein Kreuz in ein Kästchen setzen, an dem steht: Die alte Regierung soll weitermachen. Ein solches Kästchen gibt es aber nicht. Wo also mache ich nun mein Kreuz?