Wer führt uns eigentlich

Führung prägt Meinungen, Denken, Haltungen und Handeln. Dadurch entsteht für Menschen Sinn, dem sie folgen können. Dadurch werden sie geführt. Sinn ist in viel stärkerem Maße Handlungsantrieb, als Vorgaben, Verbote oder Direktiven. Fragt sich also, wer die Meinungen, das Denken, die Haltungen und letztlich das Handeln der Menschen im Staat, in der Gesellschaft prägt. Sicher gibt es da eine ganze Menge an Akteuren, von den Politikern bis zu Menschen aus dem persönlichen Umfeld jedes Einzelnen. Aber die Gruppe, die alle erreicht, und zwar nahezu täglich und mit großer Prägewirkung, sind die Medienmenschen. Dazu gehören Journalisten in den klassischen Medien Print, Funk und Fernsehen, Blogger und Influencer im Internet, Kommentatoren und Moderatoren, Essayisten und Autoren. Das sind die wahren Führer der Nation! Sie wählen aus, was wir an Informationen bekommen, sie kommentieren und bewerten, äußern eigene (oder fremde) Meinungen, verstärken einzelne Botschaften durch ständige Wiederholung, während sie andere unterdrücken. Damit prägen Medienmenschen unsere Sicht von der Welt und unsere Meinungen und Bewertungen. Sie beeinflussen unser Denken und Handeln. Wir beobachten bei vielen Menschen die kritiklose Übernahme von Meinungsvorgaben über Trump, die Chinesen, über Amerika, die Russen, über Rassismus, Corona und Klimawandel. Je nachdem, welche Medien sie konsumieren, sind sie für Trump oder gegen ihn, bewundern die Chinesen oder verdammen sie, sind amerikafreundlich oder -kritisch, beklatschen Putin oder misstrauen ihm, sehen überall Rassismus oder überhaupt keinen, fürchten sich panisch vor Corona oder dem Klimawandel oder leugnen sie.

Soweit so gut (oder schlecht), das ist der Mechanismus. Fragt sich nur, ob den Medienmenschen dieser große Prägeeinfluss bewusst ist und ob sie ihn mit der gebotenen Verantwortung handhaben. Alle Medienmenschen folgen in ihrem Tun ganz bestimmten Interessen. Es kann sein, sie wollen konform sein zu dem, was die Leute von ihnen erwarten, von denen sie abhängig sind, Chefredakteure und Intendanten in den staatlichen Medien etwa – dann werden sie einen weitgehend regierungskonformen Mainstream verbreiten, verstärken und erzeugen. Oder ihr Interesse gilt einzig der Auflage, also kommerziellem Erfolg – dann verbreiten sie Sensationen mitunter fragwürdigen Wahrheitsgehalts. Oder sie hängen einer Ideologie an – dann werden sie versuchen, diese zu indoktrinieren. In jedem Falle erreichen sie ihre jeweiligen Konsumenten und prägen deren Meinungen, mit allen daraus entstehenden Konsequenzen. Sie schaffen für ihre jeweilige Zielgruppe Sinn, beeinflussen sie und üben somit Führung aus. 

Ich sehe keine andere Gruppierung, die eine ähnlich große Führungswirkung in der Gesellschaft entfaltet, wie die Medienmenschen. Und sie haben dazu alle Freiheit, denn die Meinungs- und Pressefreiheit wird als höchste Errungenschaft unserer Zivilisation gepriesen und entsprechend vehement verteidigt. Ich halte das für gut, aber nur dann, wenn gleichzeitig über die damit für Medienmenschen verbundene Verantwortung diskutiert, diese wirkungsvoll eingefordert und bei Verletzungen sanktioniert wird. Freiheit ist nur produktiv, wenn sie sich mit Verantwortung paart und sich selbst Regeln und Grenzen setzt. Wie das gehen kann, müsste Gegenstand eines breiten Diskurses in der Gesellschaft sein. Eine Lösung ist sicher nicht trivial per Diktat oder Appell zu haben, aber dringend geboten.