Komplexität überfordert den Manager – das Management hat eine Chance

Vor einiger Zeit fand ich beim Stöbern in meinen alten Texten eine Geschichte, die das Thema des heutigen Infobriefs ganz anschaulich macht:

"Küppers hatte den Kanal mal wieder restlos voll. Nicht nur, dass seine Leute alles falsch gemacht hatten, nein, sie verstanden überhaupt nicht, was er von ihnen wollte. Dabei waren es durchweg gut ausgebildete und erfahrene Leute, die seit Jahren als Manager arbeiteten. Sie kannten alle Tricks, wussten genau, wie die verschiedenen Probleme angegangen werden mussten und hatten vieles schon zigmal gemacht. In den Routinen waren sie unschlagbar, aber wehe, es änderte sich etwas. Da fehlte ihnen der Biss, da waren sie plötzlich hilflos wie die Kinder, verhielten sich so, als setzte ihr Denkvermögen aus, drückten sich vor den heißen Eisen und gaben anderen die Schuld dafür, dass nichts lief. Dabei konnte er ihnen nicht einmal Fehler anhängen. Sie hatten sich genau an die Regeln gehalten und alles genau so gemacht wie immer. Manchmal war es schier zum Verzweifeln. Dabei hatte Küppers sich immer sehr viel Mühe mit seinen Managern gegeben. Er gehörte zu den modernen Führungskräften, denen die Entwicklung seiner Mitarbeiter am Herzen lag. Sie hatten Seminare besucht, es wurden gemeinsame Workshops gemacht und einige hatten an einem speziellen Coaching teilgenommen. Sie waren nicht nur fachlich fit, sondern auch methodisch. Sie hatten soziale Kompetenz und waren bei unternehmensweiten Assessments mit guten Ergebnissen bewertet worden. Alles schien zu stimmen und trotzdem nahmen seit einiger Zeit die Fälle zu, in denen einzelne Abteilungsleiter oder die ganze Gruppe versagten.

Abends traf Küppers seinen Trainingspartner Jonas, mit dem er häufig Kilometer zur Vorbereitung des nächsten Marathons herunterspulte. Heute stand ein zweistündiger langsamer Dauerlauf auf dem Programm und nach einigen Kilometern hielt es Küppers nicht mehr aus. Er schilderte seinem Laufpartner das Problem, wobei er sich so in Rage redete, dass ihm trotz des langsamen Tempos und auf leicht abschüssigem Terrain die Luft etwas aus ging. „Was glaubst du eigentlich, wie viel Prozent aller Jogger für einen Marathon geeignet sind und den dann auch tatsächlich laufen?“ fragte ihn Jonas. „Na, vielleicht ein Prozent“ antwortete Küppers wie aus der Pistole geschossen. „Na siehste, und Management heutzutage ist wie Marathon, nur noch hektischer“ entgegnete Jonas.
Nach weiteren zwei Kilometern wurde bei Küppers der Kopf klarer, der Ärger verzog sich und im Takt des gleichförmigen Trabens spann er die Gedanken fort. Wenn also maximal ein Prozent der Beschäftigten in einem Unternehmen über Veranlagungen für erfolgreiches Managen verfügt, dann liegt ja dort vielleicht die Ursache des Problems. Im Unternehmen gehören nämlich ungefähr zehn Prozent der Beschäftigten dem Management an. Das hieße dann ja, dass nur jeder zehnte Manager wirklich für seinen Beruf geeignet wäre. In diesem Moment stockte Küppers der Schritt. Mitten im Lauf und mitten in einem Waldstück blieb er stehen und schaute dem enteilenden Jonas hinterher."

Nun weiß ich nicht, ob es wirklich stimmt, dass nur 10 % der Manager für ihren Job geeignet sind. Aber: Trotz aller Bemühungen des Einzelnen stoßen Führung und Management an die Grenzen ihrer Wirksamkeit. Zu komplex sind die gleichzeitig zu erfüllenden fachlichen und persönlichen Anforderungen an die Manager, zu hoch der Leistungsdruck, zu vielfältig die Aufgaben, zu unübersichtlich das Wirkungsfeld. Manager scheitern meist nicht an persönlichen Unzulänglichkeiten – denn sie sind bestens ausgebildet und erfahren genug – sondern an einer ganz allgemeinen menschlichen Unzulänglichkeit, an der individuellen Komplexitätsinkompetenz.

Was meint dieses Wortungetüm? Der einzelne Mensch ist für hochkomplexe Situationen nicht ge-schaffen. Er verliert darin die Übersicht, bekommt Angst und ist blockiert. Die Wahrnehmungsfähigkeit des einzelnen Individuums ist eingeschränkt im Vergleich zu der Vielfalt seiner Berufsumwelt. Er versinkt in der Informationsfülle, der seine Fähigkeit zur Informationsverarbeitung nicht gewachsen ist. Er kann die Unvorhersehbarkeit der Folgen seines Handelns, die hohe Varianz komplexer Systeme, nicht ertragen. Er hat für diese Welt nicht genügend Ideen, nicht die ausreichend sicheren Entscheidungsgrundlagen. Kurzum, der Einzelne ist der Welt nicht gewachsen.

Das klingt zunächst schlimm, aber irgendwie haben wir ja doch überlebt. Die Menschheit hat sich trotz all dieser Unzulänglichkeiten des Einzelnen zum Dominator unserer Welt entwickelt. Dafür gibt es nur einen einzigen Grund: Weil wir viele sind!

Angewendet auf den Fall Küppers, also auf die Manager, bedeutet es, dass der Einzelne durchaus nur eingeschränkt funktionieren kann – und wird. Dass aber das Management als Ganzes die Führung eines Unternehmens bewerkstelligen kann. Das Management als Ganzes hat die Fähigkeit, in einer vielfältigen, parallelen, dynamischen und vernetzten Umwelt die Fäden in der Hand zu behalten. Es hat als Team die erforderliche Komplexitätskompetenz.

Was bedeutet das für die Qualifizierung von Managern? Fachausbildung, Weiterbildungslehrgänge, Seminare, Methodenvermittlung und Coaching sind notwendig, um den einzelnen Manager voran zu bringen und ihn auf das erforderliche individuelle Qualifizierungsniveau zu bringen, aber nicht hinreichend, um das Management eines Unternehmens erfolgreich zu machen. Man muss sich intensiv mit dem Managementteam beschäftigen. Dazu kann man mit Fragen der gemeinsamen Verantwortung beginnen, sich um effektive Interaktion kümmern, Teamgefühl stärken und Formen gemeinsamen Wirkens erarbeiten. Es geht also um die permanente Weiterentwicklung des Managementteams als Ganzes, neben bzw. zusätzlich zu den vielen erforderlichen Maßnahmen für den einzelnen Manager. Möglichkeiten dazu gibt es viele, von der supervidierenden Teilnahme an Meetings bis zur Durchführung von kurzen Reflexions-Workshops. Wir machen zur Zeit gute Erfahrungen mit einem kontinuierlichen Mentoring für Managementteams.