Führung und Kanzlerkandidatur - ein anderer Blick

Ein Führer muss stark sein, muss Werte vermitteln, Richtung und Halt geben, immer eine Lösung haben, sich durchsetzen. Und so weiter und so weiter. Kennen wir alles. Aber ist das wirklich so? Am Ende geht es darum, wem die Leute folgen! Der führt! Und das treibt manchmal ganz eigenartige Blüten. 

Schauen wir uns die Kanzlerkandidaten der CDU an. Dem eingangs geschilderten Führungsstereotyp entspricht Markus Söder ziemlich genau. Armin Laschet eher nicht. Wieso wird dann Letzterer auf den Schild gehoben und nicht der „Kanzlerkandidat der Herzen“? Weil diejenigen, die die Auswahl getroffen haben, eben Laschet folgen und nicht Söder. Wenn wir uns anschauen, wer das ist, dann wird das nachvollziehbar. Es sind die Funktionäre, die zu wählen hatten. Und zwar die Parteifunktionäre. Und die folgen Laschet. Warum? Nicht, weil er für einen Aufbruch in eine verheißungsvolle Zukunft steht. Noch nicht einmal, weil er Mehrheiten garantiert – so erfahren sind sie alle, um daran zumindest Zweifel zu haben. Nein, sie folgen ihm, weil er sie in Ruhe lässt. Von ihm geht für die Parteifunktionäre keine Gefahr aus. Und das ist im Seelenleben dieser Spezies ein hoher Wert. Sie möchten nichts ändern, haben Sehnsucht nach dem Status quo. Und deshalb folgen sie ihm.

Hätte man die Parteibasis gefragt, wäre das Ergebnis ein anderes gewesen. Die Leute dort wollen nicht in erster Linie ihre Ruhe haben, sondern ihnen geht es um die Werte der CDU, zum Beispiel. Diese zu bewahren und wieder in die Mitte der Gesellschaft zu stellen, trauen sie Markus Söder eher zu. Und deshalb folgen sie ihm. Ob sie damit richtig liegen, steht hier nicht zur Debatte. Es reicht, dass sie das glauben. Dann folgen sie ihm.

Für unsere Betrachtung von Führungsmechanismen halten wir an dieser Stelle einfach mal fest:

Wenn Menschen glauben, dass eine Person ihnen nützt, dass sie ihre eigenen Vorstellungen von Zukunft verkörpert und durchsetzt, dann folgen sie ihr. Für die einen ist das, in Ruhe gelassen zu werden, für die anderen ist es „zurück zu den Wurzeln“ und für die nächsten ist es Veränderung und was weiß ich noch alles. Laschets genialer Coup bestand darin, die Wahl genau in die Hände der Leute zu legen, die ihm folgen würden, weil er deren Intentionen eher verkörpert als sein Gegner.

Bei der Bundestagswahl im Herbst werden die Karten zwar neu gemischt, aber die Mechanismen bleiben die gleichen. Nur dass diesmal nicht der Kreis der Wählenden festgelegt werden kann, jedenfalls nicht in so gravierendem Ausmaß. Aber es wird um die Frage gehen, von wem sich Mehrheiten führen lassen wollen, wem sie folgen. 

Andersherum: Welcher Kandidat oder welche Kandidatin trifft die Vorstellungen der Mehrheit am besten, verkörpert deren Wünsche und Vorstellungen von Zukunft, von Sicherheit und Wohlstand. Da es bei der Masse der Wähler nicht so sehr um die Inhalte der Parteiprogramme geht – wer liest schon diese langen Texte – haben charismatische Personen mit hoher medialer Präsenz bessere Chancen. Und natürlich diejenigen, die von Journalisten und Influencern hochgejubelt werden. In den Medien toben ja bereits die Positionskämpfe und die Anhänger der verschiedenen Richtungen schlagen aufeinander ein. 

Wem gelingt es am besten, den Glauben der Menschen auf sich zu ziehen? Von wem glaubt die Mehrheit, dass es gut wäre, ihm oder ihr zu folgen? Wahlkämpfe sind Glaubenskämpfe. Für die Wahlkampfstrategen geht es also um die Frage, wie sie ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin in die Position bringen, dass die Mehrheit glaubt, dass es für sie gut ist, dieser Person zu folgen. Das wird die neue Führungsfigur!

Welche der hier beschriebenen Muster und Zusammenhänge gelten nun bei Führung in Unternehmen? Führungspersonen werden dort nicht gewählt, sondern eingesetzt. Aber ob die ihnen zugeordneten Mitarbeiter, ob in Linien- oder Projektorganisationen, ihnen tatsächlich folgen - also die Führungskraft tatsächlich Führungswirkung entfaltet - das hängt auch in Unternehmen davon ab, ob und wie die Menschen glauben, ihre jeweils ganz persönlichen Vorstellungen und Ziele durch die Führungsperson gesichert zu bekommen. Bei der Auswahl von Führungskräften, in Interviews, Assessments oder bei Probeeinstellungen, sollte diese Frage im Mittelpunkt stehen: 

Lässt die Persönlichkeit des Bewerbers erwarten, dass die Menschen, die er/sie führen soll, ihm tatsächlich folgen werden?

Da kommen sicher viele Punkte zusammen, die Bewerber erfüllen müssen. Fachliche Expertise, Wirkung auf Menschen, Auftritt, die Art zu denken und sich auszudrücken, ihre Werte und Haltungen. Welches Profil im Einzelnen erfüllt werden muss, hängt weniger von den Vorstellungen der Geschäftsführung oder der Personalabteilung ab, sondern von den Menschen, die geführt werden sollen. Deren Wünsche und Erwartungen sollte man zur Grundlage für die Auswahlkriterien machen. Jedes Team wird dabei ein unterschiedliches Erwartungsprofil offenbaren, wenn man genügend intensiv und gründlich hinterfragt. Gebräuchliche Praxis ist leider, dass man es sich hier mit der Vorgabe "der Kandidat, die Kandidatin muss Führungsqualitäten besitzen" zu einfach macht. Selbst wenn man das noch auf einzelne Eigenschaften, wie teamfähig, kommunikationsfähig, empathisch und so weiter, herunterbricht, ist das bei weitem noch nicht ausreichend. Die Auswählenden müssen sich viel mehr mit den zu führenden Menschen beschäftigen, als das häufig praktiziert wird. Dann kann man sicher manche Fehlbesetzung von Führungspositionen vermeiden.